Special Reports / Freiheit, Klima, Elektrizität!

Energierevolution und Energiekonterrevolution

Grzegorz Wiśniewski · 28 May 2013
In der Energiepolitik sucht Polen nicht nach Verständnis und Dialog mit Deutschland, es will nicht von den Erfahrungen profitieren, es sucht nicht nach Kompromissen.

Deutschland verfolgt seit zwei Jahrzehnten konsequent einen Wandel der Wirtschaftsparadigmen, indem es eine Energiewirtschaft anstrebt, in der zwischen Umwelt und Technik Balance besteht. Polen entwickelt seinen Energiesektor immer stärker in Opposition zu Deutschland, indem es ein immer anachronistischeres Modell festigt, das für das 19. Jahrhundert typisch war und auf einem zentralen Kohlekraftwerk beruhte, bzw. seinen Nachfolger, ein Energiewirtschafts-Modell aus der Mitte des 20. Jahrhunderts: das Atomkraftwerk. Dies führt zu immer stärkeren Missklängen in den generell guten Beziehungen zwischen Polen und Deutschland.

Die Opposition der Polen gegenüber der deutschen Energiepolitik wird seit 2008 stärker, als nach der politischen Akzeptanz des EU-Klimaschutzpakets „3×20” die EU über die Gestalt der Direktiven bezüglich des Emissionsrechtehandelssystems, der Technologie der „sauberen Kohle“, der erneuerbaren Energien und über Mittel zur Umsetzung der Ziele bezüglich der Energieeffizienz entschieden hat. Zur gleichen Zeit setzte die deutsche Regierung bereits eine neue Strategie aus dem Jahr 2006 in die Praxis um, gemäß derer bis zum Jahr 2022 die Atomkraftwerke abgeschafft und durch die Überschussproduktion aus erneuerbaren Energiequellen ersetzt werden sollen. In den schwierigen Verhandlungen Ende 2008, die der endgültigen Form der EU-Richtlinien bezüglich Energie und Klima gewidmet waren, suchte Polen nicht etwa bei seinem westlichen Nachbarn Unterstützung, sondern in den neuen EU-Ländern und in Frankreich, was die Kohleenergie gestärkt hat und Impuls wurde zu einer voreiligen Entscheidung der Regierung für den Bau eines Atomkraftwerkes. Das führte auch dazu, dass trotz der starken Förderung von erneuerbaren Energien durch die EU, die Einführung von Förderungsrichtlinien dafür ganz am Ende auf der Prioritätenliste der polnischen Regierung landete. Dieses Denken ging dann 2009 in die „Energiepolitik Polens bis 2013“ ein und zementierte die Widersprüche zwischen Polen und Deutschland.

Die Deutschen romantisch – die Polen pragmatisch?

Die Katastrophe in Fukushima bestätigte die Richtung der Energiepolitik in Deutschland, vertiefte aber auch diese Unterschiede. Die endgültige Entscheidung der deutschen Regierungskoalition über den vollständigen Ausstieg aus der Atomenergie bis zum Jahr 2022 wurde in Polen als ein Ergebnis irrationaler Emotionen nach dem Tsunami dargestellt, auf deren Grundlage die „Grünen die (romantischen?) Deutschen gegen die Atomenergie aufgewiegelt haben“ (so sieht das beispielsweise der EU-Abgeordnete Konrad Szymański). Wie zum Spotte werden vor diesem Hintergrund weiterhin Aussagen polnischer Energiefirmen als pragmatisch bewertet, dass, obwohl der deutsche Durchbruch ein von den wirtschaftlichen Realien losgelöstes Konzept ist, er gut für Polen sei, weil er den Weg zum Energieexport aus polnischen Kohlekraftwerken nach Deutschland öffne.

Niemand will sehen, dass hier etwas ganz anderes vor sich geht: Deutschland produziert einen Energieüberschuss, den es exportiert. So wie eine Reihe anderer EU-Länder (z.B. Großbritannien) führt es im Zuge der Umsetzung des Klimapakets ein breit angelegtes Investitionsprogramm ein, das auf erneuerbare Energien ausgerichtet ist. Die EU baut jährlich etwa 25-30 GW an neuen Anlagen auf und das sind in der entschiedenen Mehrheit Leistungen aus erneuerbaren Energiequellen. Die Preise für Energie aus diesen Quellen sind inzwischen niedriger als für Energie aus fossilen Brennstoffen, und dieser Prozess lässt sich weder aufhalten noch rückgängig machen. Unterdessen hat die opportunistische Herangehensweise an das Klimapaket in Polen dazu geführt, dass keine neuen Anlagen entstehen, nicht einmal Installationen, die in der Lage wären, die abgeschalteten alten Kohleblöcke zu ersetzen. Polen droht bereits in den Jahren 2015-2016 ein Energiedefizit. Leider werden die grundlegende Skepsis gegenüber der Energiewende, darunter die Unterschätzung des Potenzials für die inländischen erneuerbaren Energien, dazu führen, dass Energie importiert werden muss, unter anderem aus Deutschland, was wieder zu Nährboden für neue „Verschwörungstheorien“ werden und irrationale Entscheidungen in der neuen Energiepolitik hervorrufen kann.

Energielobby statt Staat

Die fehlende Wahrnehmung und Bagatellisierung der Rolle von erneuerbaren Energien, oder die Blockierung ihrer Einführung, wofür die beinahe dreijährige Verspätung bei der Einführung der EU-Richtlinien ein Beispiel ist, öffnet eine Pforte für die Atomenergie und bisher nicht geprüfte Optionen in der Energiewirtschaft wie das Schiefergas oder CCS (Carbon Capture and Storage – Reduzierung von CO2-Emissionen in die Atmosphäre durch die technische Abspaltung am Kraftwerk und Einlagerung in unterirdische Lagerstätten – Anm. d. Red.). Angesichts dessen haben es in Polen die sogenannten unabhängigen Produzenten von grüner Energie und ausländische Energiefirmen schwer, die außerhalb Polens in einer inzwischen komplett anderen Wirklichkeit tätig sind. Polnische Konzerne können ohne ein klares Signal seitens der Regierung zu Veränderungen den technologischen und strukturellen Abstand zur EU nicht aufholen.

Andererseits werden angesichts des Mangels an anderen bedeutenden Marktteilnehmer die inländischen Konzerne zum wichtigsten Adressaten der Energiepolitik, zum illusorischen Garant der Energiesicherheit im Land. Einflussreiche Kreise, die mit Energiekorporationen vernetzt sind, verzahnen sich mit der staatlichen Verwaltung, entfernen Polen immer weiter von der Wende in der Energiepolitik und erschweren sogar den evolutionären Wandel, indem sie über Jahre hinweg Einfluss auf die Form der Politik und die Regulierungen nehmen. Es entsteht der Eindruck, dass nicht die Konzerne die Energiepolitik des Staates umsetzen, sondern andersherum – der Staat setzt die Ziele der Konzerne um.

Polen und Deutschland am Energiescheideweg

Im Ergebnis unterscheiden sich die Politik und die Energiesysteme in Polen und Deutschland immer stärker, insbesondere bezüglich erneuerbarer Energien. Die installierte Leistung erneuerbarer Energien in Deutschland ist mehr als doppelt so hoch als die gesamte installierte Leistung des Energiesektors in Polen, und der Anteil an Leistungen aus erneuerbaren Energien im deutschen System (über 41 Prozent) ist beinahe fünf mal höher als an der Weichsel. Trotz allem kommen die deutschen Anbieter ausgezeichnet zurecht mit dem Ausgleich umfangreicher Leistungen aus instabilen Quellen (wie Wind- und Solarenergiewerke), während die polnischen Anbieter die Regierung von der angeblichen Bedrohung der Energiesicherheit selbst bei einem sehr geringen Anteil an Solar- und Windenergie überzeugt haben.

Noch größere Unterschiede treten in der Struktur der Eigentumsverhältnisse von erneuerbaren Energien auf, insbesondere im derzeit dynamischsten Segment, nämlich in der „ProSumer-Energiewirtschaft“. In Deutschland waren bereits im Jahr 2010 über vier Millionen Produzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen tätig. Die Mehrheit dieser Produzenten besaß kleine Anlagen (durchschnittliche Leistung etwas 20kW). In der Übersicht wird die Struktur der deutschen Investoren in der gesamten Branche für erneuerbare Energien dargestellt und, als Beispiel, die Photovoltaik (stellt Strom aus Sonnenenergie her, Anm. d. Red.).

GRAF do Wisniewskiego DEU

Abb. 1 Struktur der Investoren in erneuerbare Energien (über 4 Millionen Anlagen) sowie in Photovoltaik (PV) in Deutschland im Jahr 2010. Quelle: Unendlich-viel-Energie, Ausarbeitung des IEO.

Wie man sieht, sind etwa 11 Prozent aller Investoren in erneuerbare Energien (Anteil an der gesamten installierten Leistung) Landwirte, im Photovoltaiksektor beträgt ihr Anteil 22 Prozent. Landwirte allein haben in den PV-Sektor über 14 Milliarden Euro investiert. Physische Personen (Haushalte) in Deutschland investieren hauptsächlich in erneuerbare Energien (etwa 40 Prozent des Anteils an der installierten Leistung), während traditionelle Energiekonzerne 13 Prozent und im PV-Segment gerade einmal 3 Prozent der installierten Leistung besitzen.

Im Vergleich zu westlichen Ländern sieht in Polen im Bereich Kleinanlagen die Situation vollkommen anders aus. Im Jahr 2010 gab es 1.043 Energieproduzenten im Segment Kleinanlagen bis 5 MW. Sie gehörten meistenteils zu unabhängigen Energieproduzenten. Der Anteil dieses Segments an der Energieproduktion aus erneuerbaren Energien beträgt jedoch lediglich etwa 15 Prozent. Zwanzig der größten Produzenten von Energie aus regenerativen Quellen stammen von vier inländischen Energiekorporationen und liefern über 70 Prozent der Gesamtproduktion grüner Energie, was den inländischen Markt für regenerative Energiewirtschaft deutlich unterscheidet von den höher entwickelten Märkten anderer Länder. Im Kleinstanlagensegment – unter 50 kW – war nur eine verschwindend geringe Anzahl (257) an das Energienetz angeschlossen.

Ohne Prosumenten keine Revolution

Die deutsche Energiepolitik genießt die Unterstützung von Bürgern, die grüne Energie produzieren oder für die grüne Industrie tätig sind. Die politische und regulative Blockade der Entwicklung von erneuerbaren Energien, insbesondere von Kleinanlagen, verhindert die Entstehung eines Prosumentensektors, und dieser Mangel erschwert die Durchführung notwendiger Veränderungen in der polnischen Energiepolitik und führt zur Festigung ihrer archaischen Strukturen. Die fehlende Perspektive für den inländischen Markt für erneuerbare Energien erschwert auch die Entwicklung der Industrie, die Anlagen für erneuerbare Energien herstellt, wodurch Polen eine wesentliche Grundlage für die Entwicklung der sogenannten grünen Energie verliert.

Polen, das in der Energiewirtschaft zu Recht auf Sicherheit und Konkurrenzfähigkeit setzt (obwohl es unnötigerweise die Klimaziele negiert), verschlechtert in der Praxis ohne eine auf Masse ausgerichtete und dezentrale regenerative Energiewirtschaft seine Situation in beiden Bereichen. Das beinahe programmatische Auseinandergehen der polnischen Energiepolitik mit der deutschen ist nicht gut für Polen, und es hilft Deutschland nicht bei der Umsetzung der schwierigen aber notwendigen Energiewende.