Special Reports / Zwischen „Putins Inferno“ und der Olympiade in Sotschi

Olympia an die Wand gedrückt

Błażej Popławski, Katarzyna Sarek · 25 February 2014
Ökonomen und Demographen haben keinen Zweifel: das Zentrum der Welt hat sich unmerklich verschoben. Auch die sportlichen Großveranstaltungen, die immer häufiger außerhalb der Alten Welt stattfinden, sind ein Indiz für eine Neuausrichtung der globalen Ordnung, schreiben die Autoren von „Kultura Liberalna“.

China richtete 2008 die Olympischen Sommerspiele aus, zwei Jahre später die Expo. In Südafrika fand 2010 die Fußball-WM statt. Brasilien wird sie dieses Jahr austragen, zwei Jahre später wird das Land Gastgeber der Sommerolympiade sein. Vier Jahre nach Sotschi wird Russland die Fußballweltmeisterschaft veranstalten. Die aufstrebenden Volkswirtschaften der BRICS-Staaten (die Abkürzung setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika zusammen; „brics“ bedeutet auf Englisch Backsteine. Über die BRICS-Staaten haben wir 2012 in der „Kultura Liberalna“ geschrieben.) organisieren sportliche Mega-Events, um dadurch ihren Großmachtanspruch zu untermauern. Was bedeutet jedoch die Demonstration der Stärke für die Bewohner dieser Länder?

Die olympische Last

Die BRICS-Staaten, die um das Austragungsrecht für sportliche Großveranstaltungen konkurrieren, verfolgen politische Partikulärinteressen. Dabei geht es vor allem darum, der Welt, aber auch der eigenen Gesellschaft, zu beweisen, dass man imstande ist, ein derart gigantisches Unternehmen organisatorisch, finanziell, aber auch mental zu meistern.

Den größten Erfolg auf diesem Gebiet erzielte die Volksrepublik China. An der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele nahmen 80 ausländische Staatsoberhäupter teil (Rekord!), China gewann 51 Goldmedaillen, die Fernsehübertragungen erreichten fast fünf Milliarden Menschen. Trotz der Unruhen in Tibet im Frühjahr 2008 und der zweifelhaften Rolle, die China im Darfur-Konflikt spielte, wagte es kaum jemand, das Land offen zu kritisieren. Nur einige wenige der Großen dieser Welt blieben als Zeichen der Missbilligung der spektakulären Eröffnungszeremonie im „Vogelnest“ fern. Eine bessere Gelegenheit, um als aufstrebende Regionalmacht in den Rang einer Weltmacht aufzusteigen, hätte sich Peking nicht erträumen können. Nicht Olympia hat China verändert, China hat Olympia verändert – die Spiele sind nicht mehr ein Fest des Sportes, das die Welt eint, sondern eine kostspielige Show, die dazu dient, den Status und die Macht des Gastgeberlandes zu bestätigen.

Südafrika und China zeigten der Welt, was sie ihr zeigen wollten – und verbargen, was sie verbergen wollten. Sie präsentierten sich als reiche, mächtige und moderne Staaten. China erbrachte den Beweis, dass die seit 1978 eingeleiteten Reformen spektakuläre Ergebnisse zeitigen und das chinesische Staatssystem sich bewährt. Südafrika bestätigte – wenngleich mit etwas geringerem Erfolg –, dass man nach dem Ende der Apartheid 1994 den Status einer Regionalmacht wiederherstellen konnte – afrikanisch der Inhalt, europäisch die Form.

Nobel geht die Welt zugrunde

Die Organisation einer Veranstaltung von der Größenordnung einer Fußballweltmeisterschaft beziehungsweise Olympiade ist eine riskante Investition. Kurzfristig generiert sie enorme Kosten, während der viel beschworene „Barcelona-Effekt“, die Steigerung der Attraktivität des Landes, sich meistens als ein Mythos, ein Element der Erfolgspropaganda der Veranstalter erweist. Die neu errichteten Bauten und Stadien werden – sobald sich der durch die Wettkämpfe aufgewirbelte Staub wieder legt und die ausländischen Journalisten abgereist sind – zu Zeugnissen eines allzu großen Investitionsoptimismus. Die Monumente der Eitelkeit stehen dann leer, und allein schon die Unterhaltungskosten reißen riesige Löcher in die Haushalte der Kommunen, die fälschlicherweise glaubten, die FIFA beziehungsweise das IOK würde den Fehlbetrag zwischen den Investitionskosten und den Einnahmen aus Werbung und Ticketverkauf übernehmen. Selbst die Investitionen in die Infrastruktur – die Verbesserung des Straßennetzes, der Ausbau von Bahnhöfen und Flughäfen – bringen nicht den erwarteten Nutzen. Die eilig gebauten Hauptverkehrslinien verfallen, und die finanziellen Aufwendungen, um diese Mängel zu beheben, nähern sich in schwindelerregendem Tempo den Baukosten an. Man sieht das sowohl in China als auch in Südafrika.

Nicht Olympia hat China verändert, China hat Olympia verändert – die Spiele sind nicht mehr ein Fest des Sportes, das die Welt eint, sondern eine kostspielige Show, die dazu dient, den Status und die Macht des Gastgeberlandes zu bestätigen.

Popławski / Sarek

Die Fahrkarten für den luxuriösen Gautrain, der Johannesburg und Pretoria verbindet, können sich heute die meisten Bewohner dieses Ballungsgebietes nicht leisten. Der Bau des Kapstadt-Stadions verschlang 600 Mio. Dollar, das Moses-Mabhida-Stadion und das Stadion „Soccer City“ kosteten jeweils fast eine halbe Milliarde Dollar. In der Republik Südafrika, einem Land, das unter chronischer Massenarbeitslosigkeit leidet, wurde das Vuvuzela-Getröte zu einer Art Sirenengesang, der die südafrikanische Gesellschaft betörte. Die angenehmen Erinnerungen, während der WM einen Gelegenheitsjob gefunden zu haben, wurden schnell getrübt durch die fehlende Perspektive einer längerfristigen Beschäftigung. Und die Wut, hat man einmal ein besseres Leben kennengelernt, ist immer gefährlich. Man sieht das zum Beispiel während der Streiks, zu denen es in Südafrika regelmäßig kommt – gefordert werden u. a. die Anhebung der Löhne mindestens auf das Lohnniveau während der WM.

Bei der Olympiade in Peking spielte die ökonomische Gewinn- und Verlustrechnung keine große Rolle. Weder belasteten die Spiele den Staatshaushalt übermäßig noch waren sie ein bedeutender Faktor für das Wirtschaftswachstum Chinas. Angesichts der Größe der chinesischen Volkswirtschaft entsprachen die Kosten in Höhe von 40 Mrd. Dollar – nach Sotschi die zweitteuersten Spiele der Geschichte – gerade einmal 0,3 Prozent des BIP des Landes (zum Vergleich: die Kosten der Fußball-WM in Südafrika verschlangen etwa 6 Prozent des Staatshaushaltes).

Brot oder Spiele?

Ein ganz anderes Problem, das von den Medien, die sich mehr für den Torschützenkönig des Turniers oder den Medaillenspiegel interessieren, völlig vernachlässigt wurde, sind die Folgen der „städtischen Revitalisierung“. Hinter diesem Schlagwort verbergen sich Maßnahmen wie der Bau Potemkinscher Dörfer, die Entfernung von Obdachlosen aus dem Stadtbild und die Zwangsumsiedlung von Menschen aus ärmeren Vierteln.

Für den Glanz und die Erneuerung der Städte bezahlen die Einwohner einen hohen Preis. Die NGO „Centre on Housing Rights and Evictions“ (COHRE) schreibt in einem Bericht, dass zwischen 2001 und 2008 schätzungsweise 1,5 Mio. Bewohner Pekings umgesiedelt wurden, meist in abgelegene Vorstädte, häufig ohne entsprechende Entschädigung. Widerspruch weckte auch die „Renovierung von Denkmälern“, die oftmals auf dem Abriss der alten Bauten und der Errichtung neuer beruhte. Zweifelsohne ist es Olympia zu verdanken, dass die Bewohner Pekings während der Spiele in den Genuss eines blauen Himmels kamen. Zwar hat die Luftqualität sich in der chinesischen Hauptstadt zwischenzeitlich wieder dramatisch verschlechtert, aber wenigstens darf dieses Problem jetzt offen angesprochen werden, und die Behörden haben den Kampf gegen die Umweltverschmutzung aufgenommen.

Die Väter des Erfolges und der Niederlage

Die Demonstration der Stärke, der Macht und die Zurschaustellung des Erfolges in China und Südafrika waren nicht nur nach außen, an die ausländischen Beobachter, sondern auch oder vor allem nach innen, an die eigene Gesellschaft gerichtet. Olympiade und WM dienten dazu, den Nationalstolz zu stärken und der Parteiherrschaft zusätzliche politische Legitimation zu verschaffen. Im Falle Chinas hatte der Westen insgeheim gehofft, die Spiele würden wie 1988 in Korea zu einer Öffnung des Landes beitragen und politische Reformen befördern. Es stellte sich jedoch heraus, dass die chinesischen Machthaber die Spiele lediglich als PR-Instrument betrachteten und statt der erwarteten Reformen und der Lockerung des Kontrollapparates das genaue Gegenteil eintrat. Unter dem Vorwand, die öffentliche Ordnung aufrechterhalten und Störungen derselben verhindern zu müssen, wurde vor, während und nach den Spielen eine strenge Medienüberwachung eingeführt, die Kontrolle des Internets verschärft und die Menschenrechte weiter eingeschränkt. Der bekannte Intellektuelle Sun Liping vertritt die Ansicht, die Pekinger Olympiade habe den gegenwärtigen Trend in der chinesischen Politik eingeleitet – Kontrolle und Bewahrung des sozialen Friedens als Instrument zur Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung. Statt Reformen weitete China die Kontrolle über seine Bürger aus, statt Fortschritt gibt es Rückschritt.

In der Republik Südafrika, einem Land, das unter chronischer Massenarbeitslosigkeit leidet, wurde das Vuvuzela-Getröte zu einer Art Sirenengesang, der die südafrikanische Gesellschaft betörte.

Popławski / Sarek

In Südafrika fiel die Bilanz der WM etwas anders aus. Nach einer genauen Aufstellung der Gewinne und Verluste verkündete die Regierung des Landes – entgegen früheren, anderslautenden Erklärungen –, dass sich Südafrika nicht um die Ausrichtung der Sommerolympiade 2020 bewerben werde. Zu Recht! Die Zahl der vor der WM verkauften Nationalflaggen und Leopard-Maskottchen (die wohlgemerkt in chinesischen, nicht in südafrikanischen Fabriken produziert wurden) war nicht Ausdruck eines wachsenden Wohlstandes. Immer häufiger hört man Ähnliches auch von Funktionären des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), der Partei, die das Land seit der Abschaffung der Apartheid regiert. Anfangs galt die Fußball-WM als Bestätigung ihres Erfolges – den Südafrika wie auch Afrika überhaupt so dringend benötigen. Je näher die Parlamentswahlen rücken, desto kritischer äußern sich südafrikanische Politiker über die zurückliegende Weltmeisterschaft. Plötzlich heißt es, die Veranstaltung sei „nicht ganz erfolgreich“ gewesen, das Wirtschaftswachstum habe sich verlangsamt. Die früheren WM-Befürworter wechseln ihren Standpunkt, oder sie werden zu „Sündenböcken“ gemacht, mit deren Verurteilung man auf Stimmenfang geht. Die Weltmeisterschaft wurde weniger zu einem Erfolgsindikator, sie spiegelte vielmehr die Probleme der Rainbow Nation wider.

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Die Organisation sportlicher Großveranstaltungen durch die BRICS-Staaten bedeutet, nach Meinung vieler Kommentatoren, das endgültige Aus der olympischen Idee. Diese wurde von einer „Backsteinmauer“ zerdrückt. Früher waren die Spiele in der kollektiven Vorstellung ein Symbol des Friedens und der Demokratie – heute sind sie zu einem Luxusgut geworden, das sich nur wenige leisten können. An die Stelle der Ideale, des Pazifismus und des ehrlichen Wettstreits, ist der Kommerz, die große Politik und der Zynismus getreten, während der Sport selbst sich in einen der nationalistisch-imperialen Diskurse verwandelt hat. Die Ereignisse in Sotschi bestätigen diese düstere, leider nur zu wahre Diagnose.

Deutsch von Andreas Volk