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Die deutsche Energiewende – der Kampf um Strom

Claudia Kemfert · 28 May 2013
Mit Claudia Kemfert spricht Kacper Szulecki über die deutsche Energiewende

Kacper Szulecki: Sie haben kürzlich ein neues Buch veröffentlicht, das den ausdrucksstarken Titel „Kampf um Strom“ trägt. Bereits im ersten Kapitel behaupten Sie, dass es unwahrscheinlich ist, die Energiewende bis 2022 zu realisieren. Dieses Datum hat Angela Merkel als Ende für die Atomenergie in Deutschland angesetzt. Ist das wirklich ein so ambitionierter Plan?

Claudia Kemfert: Die Energiewende ist mehr als nur der Ausstieg aus der Atomenergie. Uns stehen vier Jahrzehnte radikaler Veränderungen in der Energiepolitik bevor, aber die Richtung dieses Wandels muss bereits heute festgelegt werden. Die Gegner der Energiewende sagen, sie sei in diesem relativ kurzen Zeitraum nicht durchführbar, dass der Verzicht auf die Atomenergie zu Unterbrechungen in der Stromlieferung führen werde. Dabei steht fest, dass wenn im Jahr 2022 die letzten sieben deutschen Atomkraftwerke abgeschaltet werden, es ausreichend Energie aus erneuerbaren Energiequellen und Gas und Kohle geben wird, um diese zu ersetzen. Niemand erwartet, dass wir vollständig zu erneuerbaren Energien übergehen. Dafür haben wir Zeit bis 2050.

Was denkt die deutsche Gesellschaft darüber?

Die Deutschen wollen den Ausstieg aus der Atomenergie und die Erhöhung des Zubaus erneuerbarer Energiequellen, dennoch schwindet die Unterstützung in der Gesellschaft zunehmend. Skepsis und Angst wachsen und werden durch verschiedene Mythen angestachelt: beispielsweise dass die Energiewende allzu kostspielig sei, dass sie sich nachteilig auf die deutsche Wirtschaft auswirke. Diese Mythen speisen sich aus den Ängsten der Menschen vor Neuem und vor der Störung der ihnen vertrauten Ordnung. Nehmen wir zum Beispiel den oft wiederholten Satz, dass die Energiepreise in Deutschland durch die Energiewende steigen und dass diese ungewöhnlich kostspielig sei. In Wirklichkeit haben auf den Anstieg der Preise viele Faktoren Einfluss, die Energiewende-Gegner machen jedoch ausschließlich das Erneuerbare-Energien-Gesetz dafür verantwortlich.

Es ist also nicht wahr, dass die Energiewende kostspielig ist?

Energie ist überhaupt teuer. Skeptiker weisen darauf hin, dass 100 Milliarden Euro für die Förderung der erneuerbaren Energien ausgegeben werden – und das klingt natürlich nach einer riesigen Summe. Aber man darf auch nicht vergessen, dass Deutschland alljährlich fossile Energien im Wert von 90 Milliarden Euro importiert. Das stellt die Energiewende in ein realistisches Licht. Die Kosten für die Förderung erneuerbarer Energien sind für die Haushalte relativ gering, es ist etwa 1 Prozent des durchschnittlichen Haushaltsbudgets. Die Stromkosten hingegen betragen zwischen 3 und 5 Prozent. Das ist wesentlich weniger als das, was wir für Benzin und Heizung ausgeben. Gleichzeitig führen die erneuerbaren Energien dazu, dass die Großhandelspreise für Strom sinken. Davon profitiert die Großindustrie, die immer preiswertere Energie auf dem Großmarkt kauft. Die Preise für fossile Bennstoffe steigen stetig, und sie werden weiter steigen. Auf längere Sicht sind die erneuerbaren Energien preiswerter als fossile Brennstoffe. Deutschland investiert also sinnvoll in die Zukunft.

Was ist mit den Vorwürfen, dass dies eine Investition ist, die über die Köpfe derjenigen hinweg gemacht wird, die am meisten daran interessiert sind – die Bürger?

Die These, dass die Energiewende ein Beispiel für die Planwirtschaft ist und die Kräfte des freien Marktes verhindert, ist ein weiterer Mythos, der auf Unklarheiten beruht. Als wäre der bisherige Energiemarkt frei! Die Atomenergie und die fossilen Brennstoffe wurden lange Zeit hindurch subventioniert, doch die Konsumenten haben diese Subventionen nie auf ihren Stromrechnungen aufgeführt bekommen, so wie das jetzt mit den erneuerbaren Energien gehandhabt wird. Dieser Mythos und andere Mythen sind einfach unwahr. Dahinter stehen konkrete wirtschaftliche Interessen verschiedener Organisationen, einer Gruppe, die aus Energiekonzernen besteht, oder aber Besitzer von Kohlekraftwerke, und energieintensiver Industrien, die die Investitionen in die Energieeffizienz fürchten, aber auch aus konservativen Ideologen, die der Meinung sind, alles, was „grün“ ist, ist schlecht, weil es einen negativen Einfluss auf die deutsche Wirtschaft haben wird.

Wie wird sich Ihrer Meinung nach das Resultat der Energiewende auf die Zukunft Deutschlands auswirken?

Potenziell sind zahlreiche positive wirtschaftliche Folgen messbar, denn die „Green Economy“ besteht in Investitionen in innovative Technologien. Die fossilen Brennstoffe sind endlich, ihre Preise werden steigen und alle Staaten werden damit konfrontiert sein. Natürlich, je geringer der Energieverbrauch sein wird, umso geringer die Kosten, deshalb ist die Energieeffizienz einer innovativen Ökonomie ein ausgesprochen wichtiges Element in Bezug auf die Konkurrenzfähigkeit. Außerdem sind in Deutschland etwa 400.000 neue Arbeitsplätze in dem sich dynamisch entwickelnden Sektor für erneuerbare Energien entstanden, bis Ende 2011 waren es in ganz Europa 1.200.000 Arbeitsplätze. Das kann die Antwort auf die europäische Krise sein.

Die Energiewende hat auch eine ausgesprochen wichtige ökologische Dimension. Ursprünglich sollte sie der deutsche Beitrag zur Politik gegen den Klimawandel sein. Allerdings ist die CO2-Emmission der Bundesrepublik im Verhältnis zum vergangenen Jahr gestiegen.

Sie ist zeitweise gestiegen, weil mit dem Abschalten eines Teils der Atomkraftwerke der Anteil von Kohlekraftwerken am Energiemarkt gestiegen ist. Außerdem sind die Transport- und Gebäudeenergieemissionen nicht in dem Maße gesunken, dass sie diesen Anstieg im Energiesektor hätten neutralisieren können.

Hätte man eine solche negative Auswirkung nicht voraussehen können?

Statt Kohlkraftwerken werden Gaskraftwerke gebraucht, Kraftwerke mit geringen Emissionen, die man  gut volatilen erneuerbaren Energien kombinieren kann, da sie flexible einsetzbar sind. Außerdem benötigen wir Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen (die gleichzeitig Elektrizität und Wärmeenergie erzeugen – Amn. d. Red.), weil sie effient sind und sich ebenso gut mit erneuerbaren Energien kombinieren lassen. Sie sollten die Kohlekraftwerke ersetzen. Das Problem besteht jedoch darin, dass sie sich derzeit nicht rechnen. Der Gaspreis in Deutschland ist zu hoch, die Preise für die Emissionsrechte im Emissionshandelssystem (Emissions Trading Scheme – ETS – Anm. d. Red.) sind zu niedrig. Es gibt zu viele Emissionsrechte, weil bei der Entstehung des Systems allzu viele Zertifikate kostenlos ausgegeben wurden. Das Angebot ist zusätzlich vergrößert worden durch die internationalen Mechanismen im globalen UN-System. Wenn die europäischen Staaten es nicht schaffen, das Emissionshandelssystem zu reanimieren, indem sie zeitweilig einen Großteil der Rechte vom Markt nehmen, sogenanntesbackloading, wird das ETS weiter zugrunde gehen.

In Polen klingt das wie Ketzerei. Backloading wird hier beinahe einstimmig kritisiert. Ein Teil der polnischen Experten sieht darin ein Aspirin für einen Sterbenden. Für die große Mehrheit ist die Kalkulation einfacher: höhere Preise für Emissionsrechte bedeuten höhere Energiepreise. Das wiederum bedeutet den Verlust der Konkurrenzfähigkeit der Industrie. Muss die Erhöhung der CO2-Preise einen Anstieg der Energiepreise und die Abwanderung der Industrie aus Europa bedeuten?

Nein. Es hängt davon ab, wie hoch der Preis für Emissionsrechte ist und in welchem Maße er auf den Energiepreis umgelegt wird. Auf einem freien Energiemarkt führt ein höherer Preis für Emissionsrechte zu Investitionen in Technologien mit geringer Kohlenstoffintensität. Zur Abwanderung der Industrie, das sogenannte carbon leakage, könnte es kommen, wenn der Preis für Emissionsrechte auf über 60 Euro steigen würde- und es keine ausnahmen für betroffene unternehmen geben würde. Davon sind wir weit entfernt. Selbst wenn das backloading durchgeführt wird, würden die Preise für Emissionsrechte um wenige Euro steigen (im Mai 2013 betrugen sie zwischen 3 und 4 Euro – Anm. d. Red.). Preislich hätte das geringe Auswirkungen, weil die Emissionsrechte nur zeitweise vom Markt genommen werden. Wenn die Emissionspreise so niedrig bleiben wie bisher, sollten Deutschland und andere EU-Länder über die Einführung einer Emissionssteuer nachdenken, um die entsprechenden ökonomischen Impulse für die Energiewende zu geben. Großbritannien hat einen minimalen Preis für Emissionsrechte eingeführt. Das ist nicht die beste Lösung, aber es kann passieren, dass andere Länder den gleichen Weg einschlagen.

Welchen Schwierigkeiten wird sich die deutsche Energiepolitik in naher Zukunft stellen müssen?

Strom-Angebots-Wende – das ist eine bessere Bezeichnung für die bisherige Entwicklung. Das Angebot an erneuerbaren Energien Strom steigt beeindruckend stark an, aber wir benötigen mehr als das. Beispielsweise sind die Investitionen in neue und bessere Netze, oder die Fortschritte im Bereich der Speicherung von Energie noch immer unzureichend. Komplett ignoriert werden die Energienachfrage und die Energieeffizienz in der Industrie, im Transport- und im Bauwesen. Die Energiewende hatte einen guten Start, aber jetzt wankt sie und es besteht das Risiko, dass sie zum Stillstand kommt. Der Boom der erneuerbaren Energien ist durchaus ein Erfolg, aber er hat auch seine Mängel. Wir sehen weitere Investitionen in Kohlekraftwerke, was in keinem Verhältnis steht zum langfristigen Plan einer stabilen Energiewende. Wenn wir weiter in diese Richtung gehen und die CO2-Preise nicht korrigieren, werden wir am Ende die Atomenergie gegen Kohleenergie ersetzen. Das wäre schädlich für das Klima und würde die Bemühungen um die Reduzierung der Treibhausgasemission untergraben, einem Sektor, mit dem Deutschland derzeit offensichtlich nicht zurechtkommt.

Ist Polen für die deutsche Energiepolitik wichtig? Insbesondere weil es in den vergangenen Jahren einen beinahe entgegengesetzten Weg gegangen ist.

Polen ist wichtig, damit die europäischen Ziele erreicht werden können, beispielsweise die die Erhöhung der der Anteile von erneuerbaren Energien. Deutschland steigert ähnlich wie Polen seinen Anteil an Kohlekraftwerken an der Energiewirtschaft, was auf lange Sicht nicht vereinbar ist mit der Entwicklung erneuerbarer Energien. Wenn Deutschland es jedoch schafft zu zeigen, dass ein ausgeglichenes Energiesystem in einem Industrieland möglich ist und wenn die Kosten für die erneuerbaren Energien weiter sinken, werden andere Länder diesem Beispiel folgen. Polen wird früher oder später auch seine Anteile an erneuerbaren Energien und Gasturbinenkraftwerken vergrößern. Sobald die Kosten für die erneuerbaren Energien sinken, wird auch Polen mehr Anlagen zubauen. Die europäischen Staaten haben sich dazu verpflichtet, die EU-Roadmap umzusetzen und die Anteile erneuerbarer Energien bis 2050 zu vergrößern. Wichtig ist, dass alle EU-Länder einen gemeinsamen Kurs finden, damit dieses Ziel erreicht werden kann. Doch die Energiepolitik ist und bleibt in der Zukunft national. Jedes Land muss für sich selbst einen Weg finden, diese Ziele zu erreichen. In der Zukunft brauchen wir dafür einen vereinigten europäischen Energiemarkt, besonders einen besser integrierten Strommarkt.