Special Reports / Soll sich Deutschland für die Europäische Union aufopfern?

Ohne ein starkes Deutschland ist die Stabilität Europas gefährdet

Clyde Prestowitz · 30 October 2012
Deutschland muss mehr Verantwortung für die Europäische Union übernehmen. Dabei denke ich erstens an die Unterstützung der Bankenunion, zweitens daran, dass endlich die denominierten Staatsanleihen in Euro mit gemeinsamen Garantien akzeptiert, und drittens andere Länder in Richtung eines wirklich integrierten Finanzmarktes innerhalb der Eurozone geführt werden müssen.

Leider sieht die Wirklichkeit anders aus. In einem gewissen Sinne spielt Deutschland im Vereinten Europa schon heute die Rolle des Hegemonen. Deutschland ist in diesem Europa der stärkste Staat und kommt wirtschaftlich am besten zurecht. Dies bedeutet jedoch keine Allmacht. Die Bundesrepublik mag das einflussreichste Land sein, aber sie ist weit entfernt von der Rolle des EU-Diktators. Aus diesem Grund bin ich nicht der Meinung, dass diejenigen, die auf die historische Gefahr hinweisen, die mit einem erstarkenden Deutschland zusammenhängen, Recht haben. Wesentlich ungünstiger wäre ein Zusammenbrechen der Eurozone. Davor sollte man sich fürchten, schließlich könnte dies die schlimmsten Folgen haben. Die Rezession, die Krise, ja selbst ein Krieg und Massen an Flüchtlingen könnten wieder nach Europa kommen – dann wäre die Stabilität des gesamten Kontinents gefährdet.

Trotz seiner einflussreichen Rolle hat sich Deutschland bisher keiner einzigen der von mir aufgezählten Aufgaben angenommen. Beunruhigend ist auch, dass die Bundesrepublik den Eindruck macht, als würde sie die Sparpolitik in Bezug auf die Peripherieländer weiter verfolgen wollen. Diese Idee hat keine Zukunft, sie führt lediglich zur Vertiefung der dort sowieso bereits vorhandenen Armut.

Berlin sollte sich darüber klar werden, dass die Existenz einer gemeinsamen europäischen Währung für Deutschland von Vorteil ist: ohne sie könnte heute nicht die Rede sein von einer großen Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Exportes. Vielleicht wäre es keine schlechte Idee, dass Deutschland die Eurozone verlässt, wenn der Euro sich dadurch nicht im Verhältnis zur Mark revalorisieren würde, und die Bundesrepublik dadurch nicht in Rezession käme. Oder anderes gesagt: Der politische Bruch in Gestalt des Zerfalls der Eurozone könnte am Ende zu einer noch tieferen sowohl wirtschaftlichen als auch politischen Krise führen.

Die Ironie des Schicksals besteht darin, dass Berlin heute gebeten wird, in Europa die Führung zu übernehmen. Einige Länder flehen Angela Merkel regelrecht an, die Staatsanleihen zu übernehmen. Sie ist jedoch nicht gewillt, dies zu tun. Schauen wir einmal, wie das am Beispiel Griechenlands aussehen würde. Die Griechen beklagen sich, weil Deutschland dazu drängt, eine strenge Finanzpolitik einzuführen. Doch auf diese Weise erweitert die Bundesrepublik ihre Rolle als Hegemon gar nicht! Berlin ist nicht bestrebt, ein integriertes EU-Finanzsystem und die Staatsanleihen in Euro zu akzeptieren, die die Griechen so sehr brauchen. Im Moment sind letztere enttäuscht, denn der Prozess der Europäisierung wurde faktisch gestoppt. Deutschland festigt seine führende Rolle nicht nur nicht, sondern ist darüber hinaus auch nicht in der Lage, seine Rolle in einem breiteren Kontext wahrzunehmen.

Ihr Europäer steht heute vor einer sehr schwierigen Wahl. Für welchen Weg ihr euch entscheidet, wird jedoch nicht von Deutschland abhängen. Innerhalb des kommenden Jahres müsst ihr alle zusammen entscheiden, ob ihr ein vereinigter, starker politischer Organismus sein wollt, was wohl im Hinblick auf die Zukunft das beste wäre, oder eine Gruppe kleiner Länder, die zwar unabhängig sind, aber keine große Bedeutung haben.