Der Kult um die „Verstoßenen Soldaten“ entwickelt sich heute zu einem Grundprinzip der staatlichen Gedächtnispolitik. Dass dabei nicht zwischen Helden und Verbrechern differenziert wird, ist nur eine der Gefahren, die sich daraus ergeben. Es reicht jedoch nicht, den Mythos der „Verstoßenen Soldaten“ zu kritisieren – eine durchdachte und attraktive Alternative ist notwendig.
Im November 2015, als auf einer ersten diesbezüglichen Versammlung die Strategien einer polnischen Geschichtspolitik erarbeitet werden sollten, stellte Prof. Jan Żaryn, Senator der PiS-Partei, fest, dass „wir als Polen alle bereits Kinder der «verstoßenen Soldaten» sind“. Damit meinte Żaryn die Zehntausenden von polnischen Soldaten, die nach Ende des Zweiten Weltkrieges in konspirativen Organisationen den bewaffneten Kampf gegen die von der UdSSR aufgezwungene kommunistische Regierung fortsetzten. Heute scheint sich jene Geschichte als Grundprinzip der Geschichtspolitik zu etablieren, die von den gegenwärtig Regierenden betrieben – oder zumindest angestrebt – und von sympathisierenden Kreisen unterstützt wird. Präsident Andrzej Duda nahm vergangenes Jahr an einer Feier teil, während derer die Grabstätte eines bekannten Soldaten des antikommunistischen Untergrundes, Obst. Zygmunt Szendzielarz „Łupaszko“ (verhaftet, zum Tode verurteilt und 1951 im Gefängnis erschossen), ehrenvoll auf den Militärfriedhof des Warschauer Powązki-Friedhofs verlegt wurde. Bei diesem Anlass sagte Verteidigungsminister Antoni Macierewicz, dass Szendzielarz, Befehlshaber der 5. Wilnaer Brigade der Heimatarmee (AK), ein Vorbild für die junge polnische Generation sein sollte.
Zunehmend lauter wird außerdem die Klage, die Mitglieder des antikommunistischen Untergrunds seien vergessen – und damit eben auch „verstoßen“ – worden, und zwar in doppelter Hinsicht: zuerst durch die verlogene Propaganda der Kommunisten, und nach 1989 von den Linksliberalen, die die öffentliche Meinung dominiert hätten.
Die Geschichte der „verstoßenen Soldaten“ stammt natürlich nicht aus der Feder der PiS-Partei. Über ihr Entstehen, ihre vermehrte Ausbreitung und die Etablierung diverser Formen des Gedenkens – von bedruckten T-Shirts, Marathonläufen und Fanmeilen bis hin zu Denkmälern – wird in absehbarer wahrscheinlich Zeit viel geschrieben werden. Mit Sicherheit lässt sich jetzt schon sagen, dass diese Form aktiven Gedenkens trotz der günstigen Rahmenbedingungen, die die vorige (und auf der Ebene lokaler Selbstverwaltungen auch die gegenwärtige) Regierung für sie schufen, wie eine Bewegung von unten wirkt. Der Mythos der „verstoßenen Soldaten“ entfaltet eine starke Resonanz bei vielen Menschen in Polen, besonders der jüngeren Generation, die nach wie vor bestimmte Bezugspunkte braucht. Da die Partei Recht und Gerechtigkeit ihre Geschichtspolitik auf diesen Mythos gründet, nimmt sie einerseits Einfluss auf gesellschaftliche Einstellungen und kommt andererseits einem allgemeinen Bedürfnis entgegen. Das Problem ist nur, dass man nicht allzu tief bohren muss, um unter der Oberfläche des Mythos die mit ihm verbundenen Gefahren zu erkennen.
Tod den Feinden der Anarchie
Der Kult um die „verstoßenen Soldaten“ soll weniger den Soldaten des antikommunistischen Untergrunds Gerechtigkeit widerfahren lassen und an die Opfer des Kommunismus erinnern, als vielmehr neue Helden kreieren, häufig zugeschnitten auf den Bedarf der Partei. Doch welche Werte stehen hinter jenen Helden? Dienen diese Werte der Förderung von zivilgesellschaftlich und sozial orientierten Einstellungen? Dies darf ernsthaft bezweifelt werden. Die Soldaten des antikommunistischen Untergrunds schreiben sich wunderbar in den romantischen Märtyrer-Mythos von den polnischen Aufständen und dem Kampf gegen die Tyrannei ein – sind sie doch standhaft, tapfer, zwar zur Niederlage verurteilt, aber bereit, höchste Opfer zu erbringen. Dargestellt als Erben der polnischen Freiheitskämpfe des 19. Jahrhunderts und als Nachgeborene des Warschauer Aufstandes, verkörpern sie gleichzeitig Rebellion, Außenseitertum und Anarchie, sind geradezu die Apotheose eines sozialen Egotismus und mangelnden Verantwortungsbewusstseins. Deshalb passen sie so gut zu systemfeindlichen und Anti-Establishment-Bewegungen – nicht durch Zufall waren sie auf den Wahlkampf-T-Shirts von Paweł Kukiz zu sehen [1] und stellen im Pantheon des Nationalradikalen Lagers (ONR) wichtige Figuren dar [2].
Allein die Konstruktionsweise des besagten Mythos verursacht ein Werte- und Begriffschaos. Gut erkennen lässt sich das am Text einer regierungsnahen Journalistin der „Gazeta Polska Codziennie“, Katarzyna Gójska-Hejke, in dem sie einen unzweifelhaften Helden, den Auschwitz-Häftling Witold Pilecki, im selben Atemzug mit dem Verbrecher und Mörder Romuald Rajs „Bury“ nennt, dessen Kampfeinheit etwa 80.000 wehrlose Einwohner orthodoxer Dörfer ermordete. Alles wird in einen Topf geworfen. In der Geschichte von den „Verstoßenen“ wird nicht differenziert zwischen Soldaten, die im Wald blieben und mit der Zeit anfingen, Bauern auszurauben, und Soldaten, die dem Kommunismus Widerstand leisten wollten, aber keinen Sinn in der Fortsetzung eines bewaffneten Kampfes mehr sahen. Das lässt den gefährlichen Eindruck entstehen, Tapferkeit und Antikommunismus könnten alle moralischen Prinzipien ersetzen. Außerdem birgt es eine weitere Gefahr: Kommt es jemandem ohne entsprechende historische Bildung zu Ohren, dass die Kriegshelden Pilecki oder Gen. Emil Fieldorf „Nil“ [3] nicht am bewaffneten Kampf gegen die Kommunisten beteiligt waren, aber dennoch von diesen ermordet wurden – sich also quasi in dieselbe Gruppe einordnen wie „Bury“, von dessen Verbrechen er irgendwo gehört hat –, könnte dieser Jemand versucht sein, alle diese Figuren negativ zu bewerten.
Eine derart konstruierte Geschichte von standhaften Helden besitzt auch eine gewaltige ausgrenzende Kraft – auffällig ist vor allem der Konflikt, der zwischen jenem Mythos und dem Gedenken lokaler Gemeinschaften entsteht, erinnern diese sich doch an die Erfahrungen von Bauern und ethnischen Minderheiten, die in der Vergangenheit Opfer von Gewalt seitens der erwähnten demoralisierten „Waldtruppen“ von Aufständischen geworden sind. Jüngst gab es entschiedenen Widerstand gegen den Versuch nationalistisch gesinnter Kreise, in der zu einem Viertel von Belarussen bewohnten Stadt Hajnówka das Gedenken des bereits erwähnten Romuald Rajs „Bury“ zu ehren. Von einem solchen Gesichtspunkt aus wird der Status von Minderheiten in der Gesellschaft problematisch. Deutlich wird das ebenfalls bei Negativwertungen – als Feinde gelten durchweg Sowjets und Kommunisten, d.h. „Verräter“. Als Opponenten gelten dann auch, was weniger offensichtlich ist, alle, die sich nach dem Krieg gegen den bewaffneten Widerstand entschieden haben, beispielsweise, weil sie sich am Wiederaufbau des Landes oder an der Bewahrung der polnischen Kultur vor der Sowjetisierung beteiligen wollten. Ein manichäisches Bild von Polen nach dem Krieg verzerrt gänzlich die wesentlich komplexere Realität jener Zeit und entwertet die Haltung eines großen Teils der polnischen Gesellschaft.
Keine Angst vor Helden
Sollte man also die gerade erst errichteten Denkmäler für die „verstoßenen Soldaten“ wieder einreißen? Nein, das ist nicht der Punkt. Zweifellos sollte man diese Menschengruppe in das kollektive Gedächtnis zurückholen und den klammheimlich in Sammelgräbern verscharrten Ermordeten ein würdigeres Begräbnis geben, doch wäre es angemessener, den Ehrensockel gegen aufklärerischen Museumsunterricht einzutauschen, der die Tragik in den Entscheidungen jener Generation und das Grauen der Nachkriegszeit zeigen würde.
Dass man sich auf die ungleichen und nicht eindeutigen Haltungen innerhalb der Gruppe der „verstoßenen Soldaten“ angemessen beziehen kann, bewies jüngst die junge linke Partei Razem [dt. Gemeinsam], die zum nahenden Nationalen Gedenktag für die Verstoßenen Soldaten, der am 1. März begangen wird, eine Zeichnung veröffentlichte, auf der ein Bild Pileckis mit der Unterschrift „Ruhm den Helden“ einer Fotografie „Burys“ mit der Unterschrift „Schande den Verbrechern“ gegenübergestellt war. Damit wurde ein Versuch unternommen, den Sumpf des polarisierten Diskurses zu umgehen – der Zwangslage zu entkommen, in der jeder, der die moralischen Werte oder den Sinn des Kampfes mancher „Verstoßener“ anzweifelt, als „Linksradikaler“ oder „Kommunistenschwein“ beschimpft wird, was in der Sprache der Rechten der höchsten Beleidigung gleichkommt, in der aber auch jeder, der seine Bewunderung und Achtung für Pilecki oder Fieldorf bekennt, abschätzig als Nationalist oder Martyriums-Fanatiker bezeichnet wird.
Eine Rhetorik und ein Handeln im Sinne eines idealisierten Bildes von der polnischen Nation rufen nämlich unüberlegte Reaktionen auf der anderen Seite der politischen Debatte in Polen hervor. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass für viele Kommentatoren – oder auch nur für Menschen, die mit der politischen Rechten nichts zu tun haben – allein der Gedanke eines institutionalisierten Narrativs über die Gesamtheit der polnischen Geschichte aus dem Zauberhut der PiS-Partei stammt und rein daher verdammt werden müsse. Unter diesen Voraussetzungen gerät eine solche Idee per se unter den Verdacht des Nationalismus und Obskurantismus, was wiederum mit der Überzeugung einhergeht, dass der Staat sich so fern wie möglich von Geschichte halten sollte.
Auch wenn die Befürworter kritischer Geschichtsschreibung und die Gegner jeder Geschichtspolitik alle Ehrensockel lieber beseitigt sähen, ist das Bedürfnis nach Vorbildern und Mythologien übermächtig und häufig auch unabdingbar für die Verankerung des Einzelnen in der Welt, für die Festigung seiner eigenen Identität, und muss deshalb angemessen kultiviert werden. Es würde sich also lohnen, Helden zu kreieren, die Werte wie Zivilcourage, Dialogbereitschaft und Offenheit für andere Kulturen, Verantwortungsbewusstsein und Engagement für die Gemeinschaft verkörpern würden. Helden, deren Gedenken eine Diskussion über das Funktionieren der heutigen Gesellschaft anstoßen würde und eine Reflexion über die Möglichkeiten wäre, wie sich Gemeinschaft gestalten ließe – Helden, die zugleich auch etwas Anziehendes und Unkonventionelles an sich hätten, die trotz allem ein Quantum inspirierender Verrücktheit besäßen und eine Gesinnung, die „gegen den Strom“ schwimmt. Wäre dann nicht – bleiben wir doch im Kontext der Kriegserfahrung – Jan Karski ein solcher Kandidat, der heldenhafte Kurier des polnischen Untergrundstaates während des Krieges, ein eingefleischter Patriot und kühler Denker zugleich, ein „polnischer Katholik“, Bindeglied zwischen dem Narrativ der Mehrheit und dem Gedenken an die polnischen Juden? Ja, tatsächlich, der polnische Staat hat in letzter Zeit viel Mühe darauf verwendet, ihn der Welt in Erinnerung zu rufen. Doch warum ist es dann nicht gelungen, ihn „auf den Ehrensockel der T-Shirts zu erheben“?
Anmerkungen
[1] Sänger, Chef der populistischen Bewegung Kukiz `15, gegenwärtig die dritte Kraft in der polnischen Politik (8,8% Stimmen in den Parlamentswahlen im Jahr 2015).
[2] Eine Organisation der Ultrarechten, die in ihrem Namen und ihrer Ideologie an die politischen Gruppierungen der Vorkriegszeit anknüpft, die sich am italienischen Faschismus orientierten.
[3] Anführer der Sabotageeinheit der Heimatarmee (AK) während des Zweiten Weltkrieges. 1945-47 in die UdSSR deportiert, aber nicht enttarnt. Verhaftet 1950 und zum Tode verurteilt, erhängt im Februar 1953.
Il. Magdalena Walkowiak-Skórska.
Übersetzt von Lisa Palmes.