Special Reports / Wer hat heute Angst vor den Roma?

Aus der Tiefe unserer Seele

Don Wasyl Schmidt im Gespräch mit Błażej Popławski · 24 June 2014
Über die Wahrnehmung der Roma in Polen, die Entwicklung der gegenwärtigen Roma-Identität und das „Zigeunertum“, das in Mode ist, spricht Błażej Popławski von der „Kultura Liberalna” mit dem Komponisten Don Wasyl Schmidt, einer treibenden Kraft in der Roma-Kulturbewegung.

Błażej Popławski: Sie sind ein sehr beliebter Künstler nicht nur bei den Roma, sondern vor allem bei den Polen. Ihre Musik bringt einerseits den Polen die Romakultur näher und macht sie zu etwas „Vertrautem“, hält aber andererseits auch gewisse Stereotype über die Roma aufrecht – als Menschen ohne festen Wohnort, die durchs Land reisen und außerhalb des Systems leben. Wie wird Ihr Schaffen von der einen und der anderen Gemeinschaft wahrgenommen?

Don Wasyl Schmidt: Seit Beginn meiner künstlerischen Tätigkeit bemühe ich mich, die Mission zu erfüllen, den Zuhörern die Romakultur näherzubringen. Das geht besonders durch Musik, die Freude und Freundschaft verbreitet. Die Teilnehmer an unseren Konzerten – unabhängig von ihrer nationalen Zugehörigkeit – sagen, wenn sie unsere Lieder hören, werden sie für eine Zeitlang in eine andere, magische Welt versetzt, in der sie etwas Neues, vielleicht auch manchmal Exotisches finden, aber etwas, das mit Sicherheit echte Begeisterung und Neugier bei ihnen weckt. Unser Schaffen verbreitet die Botschaft, Freundschaft, Liebe, Toleranz auf der ganzen Welt zu verstehen. Und genau das ist die Romakultur!

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Diese Kultur wird von den Europäern häufig mit einer Mischung aus Angst und Faszination, Mitgefühl und Bewunderung wahrgenommen. Und wie sieht das von der anderen Seite aus? Wie nehmen die Roma sich selbst wahr?

Die Roma sehen sich selbst als Brüder. Wir wachsen im Gefühl einer starken gemeinschaftlichen Bindung, der Achtung vor der Familie auf. Natürlich kommt es, wie in jeder Gruppe, auch zu Situationen, in denen einzelne Individuen sich von den übrigen absetzen, sicherlich vor allem aus unbegründeter Eifersucht wegen der Erfolge der anderen. Sie handeln entgegen der Bestimmungen des Romakönigs oder des Ältestenrates. Aber schließlich sind Situationen, in denen die traditionellen Autoritäten abgelehnt werden, auch in anderen Gesellschaften nichts Außergewöhnliches.

Wir hören regelmäßig von Konflikten zwischen Roma-Gemeinschaften und den lokalen polnischen Gemeinschaften. Was ist Ihrer Meinung nach der Grund dafür?

Solche Konflikte treten nicht in größerem Ausmaß auf. Tatsächlich kommen sie sporadisch auf der Ebene lokaler Gemeinschaften vor. Ich denke, dass der Ursprung dieser Streitigkeiten in der mangelnden Toleranz gegenüber nationalen Minderheiten liegt, in Stereotypen und Vorurteilen, die in der Geschichte der gegenseitigen Beziehungen wurzeln, sowie in der medialen Tendenz zur Verallgemeinerung der Bedeutung von Phänomenen, die trotz allem nur Einzelcharakter haben. Sobald sich etwas Beunruhigendes bei den Roma ereignet, bauschen die Journalisten das Problem gleich auf, bis es das Ausmaß der ganzen Stadt, der Woiwodschaft oder des Landes annimmt. Gegen so einen medialen Diskurs lässt es sich schwer ankämpfen…

Im Westen treten die „Zigeuner“ im Diskurs der extremen Rechten als negative Helden der Finanzkrise auf, und vielleicht sogar als Gruppe, die der europäischen Integration schadet. Warum ist das so? Wie kann man in einer liberalen Demokratie gegen die Diskriminierung der Roma angehen?

Das hängt in großem Ausmaß von der Politik des Staates ab, davon, wie viel Toleranz für die Idee der Multikulturalität und wie viel Xenophobie und nationalistische Tendenzen es in den Regierungen der einzelnen Staaten gibt. Nationale Minderheiten kann man immer leicht zum Sündenbock machen, ihnen unberechtigterweise Schuld aufhalsen. Es ist Unsinn, dass die Roma-Gemeinschaft im Westen für die Finanzkrise oder für das verlangsamte Integrationstempo innerhalb der EU verantwortlich ist. Man muss die Schuldigen bei den verantwortungslosen und korrupten Politikern und Bankern suchen.

Wenn das Zigeunertum in Mode ist, darf das nicht dazu führen, dass eine exotische Subkultur in Mode ist, doch leider geschieht häufig genau das. Dabei gestaltet die Roma-Tradition seit sechs Jahrhunderten die europäische Zivilisation mit. Wir führen einen Dialog mit Europa, wenn wir Werte bewahren, die über die Koexistenz unserer Gemeinschaft entscheiden.

Don Wasyl

Welche Rolle könnte es für die Propagierung der Toleranz gegenüber den Roma spielen, dass das „Zigeunertum“ seit Kurzem in Polen wieder in Mode ist, wozu ohne Zweifel der Film und das Buch über die Roma-Dichterin Papusza beigetragen haben?

Wenn das Zigeunertum in Mode ist, darf das nicht dazu führen, dass eine exotische Subkultur in Mode ist, doch leider geschieht häufig genau das. Dabei gestaltet die Roma-Tradition seit sechs Jahrhunderten die europäische Zivilisation mit. Wir führen einen Dialog mit Europa, wenn wir Werte bewahren, die über die Koexistenz unserer Gemeinschaft entscheiden. Einer „Modeerscheinung Zigeunertum“ muss demnach die Achtung vor unserer Tradition folgen. Ihre Akzeptanz ist der erste Schritt in der Propagierung von Toleranz.

Was kann der polnische Staat für eine bessere Wahrnehmung der Roma-Gemeinschaft tun?

Ich bin mir bewusst, dass es nicht nur eine Frage des Vorgehens vonseiten der Regierung ist, auf welche Weise die Roma-Gemeinschaft wahrgenommen wird. Es ist ebenso Sache der Roma, auf das Bild von sich zu achten, und das auf vielen Ebenen. Wir wahren unsere eigene Identität und bemühen uns zugleich, die guten Sitten und Bräuche unserer polnischen Brüder zu achten sowie auch das Recht in dem Staat, in dem wir leben. Aber wenn Sie nach dem Vorgehen der Regierung fragen, so hätte ich gern, dass sie unsere Einheit und die Repräsentanten unserer Gemeinschaft anerkennt, die von uns in demokratischen Wahlen gewählt wurden. Ich betone das, weil zur Zeit beunruhigende Signale über Usurpatoren zu mir vordringen, Personen, die keine Unterstützung vom König und Ältestenrat bekommen, aber dennoch versuchen, ihre eigene Politik zu machen und im Namen der Roma-Gemeinschaft aufzutreten. Solche Vorgehensweisen können nur zur Destabilisierung unserer Gemeinschaft und der seit vielen Jahren vom Ältestenrat errichteten Ordnung führen.

Wie ist Ihr Verhältnis zum Assimilationsprozess der Roma, ihrer Polonisierung und Europäisierung?

Seit 600 Jahren leben wir auf polnischem Boden, sprechen die polnische Sprache, unsere Kinder gehen auf polnische Schulen, wir achten sowohl das polnische als auch das Roma-Recht – das in keinstem Maße mit dem polnischen Recht kollidiert. Wir respektieren das polnische Recht und wollen zugleich unsere Identität bewahren, die auf Werten fußt, welche unsere Völker einander näherbringen sollten. Wir möchten unsere Kinder gut ausbilden, sie nicht nur die Roma-Geschichte lehren, sondern auch die polnische und die europäische.

Was bestimmt somit im größten Maße die gegenwärtige Identität der Roma? Was ist in ihr am lebendigsten – besonders für die jüngere Roma-Generation?

Ohne Zweifel sehr lebendig sind unsere Kultur, Musik, aber auch Kleidung, Schmuck oder sogar Küche – das spüre ich deutlich auf den Konzerten und Festivals. Das ist eine tiefe künstlerische Ausdruckskraft, die der Tiefe unserer Seele entströmt – das Alter spielt dabei keine große Rolle. Die junge Roma-Generation strebt nach Stabilisierung; sie sieht ein Bedürfnis, sich selbst neu zu entdecken, weiterzubilden und gemeinsam mit anderen in der polnischen und europäischen Gesellschaft zu existieren – natürlich unter Bewahrung ihrer Roma-Identität.

Wir respektieren das polnische Recht und wollen zugleich unsere Identität bewahren, die auf Werten fußt, welche unsere Völker einander näherbringen sollten. Wir möchten unsere Kinder gut ausbilden, sie nicht nur die Roma-Geschichte lehren, sondern auch die polnische und die europäische.

Don Wasyl

Ist es leicht, die beispielsweise in Musik und Lyrik enthaltenen Modelle der Romakultur zu fördern, ohne die Gefahr, sie zu Folklore zu machen? Dieses Problem betrifft alle nationalen Minderheiten. Häufig verwandelt die Popularisierung von Traditionen diese in ein Freilichtmuseum, dessen Betrachter nicht zu verstehen versucht, sondern lediglich die Fremdheit und Exotik bewundert.

Die Romakultur wird sich wegen ihres Reichtums und ihrer Vielfältigkeit nie in ein Freilichtmuseum verwandeln. Diese Kultur, die in Europa und vielen anderen Winkeln der Welt verbreitet ist, hat im Laufe der Jahrhunderte ihren Charakter herausgebildet. Dieser Charakter ist nicht nur mit Ländern, sondern auch mit Regionen verbunden. Die Roma in verschiedenen Teilen Europas oder der Welt zeichnen deutliche kulturelle Unterschiede aus, die sich zum Beispiel in der Musik oder der Art der Kleidung bemerkbar machen.

Eine sehr große Bedeutung bei der Popularisierung der Romakultur haben Massenveranstaltungen, die von den Roma selbst für ein Publikum organisiert werden, das nicht nur aus Roma besteht. Diese Festivals sind ein wirksames Mittel sowohl gegen Folklorisierung als auch gegen Anti-Roma-Stereotype. Vor 18 Jahren habe ich das Internationale Festival des Romaliedes und der Romakultur in Ciechocinek ins Leben gerufen. Dieses Festival bringt die Kulturen einander näher, indem es das wahre Gesicht und die wahre Seele der Roma zeigt. Ich habe es aus der Mission heraus initiiert, eine gegenseitige Toleranz aufzubauen – heute kann ich feststellen, dass wir auf dieser Ebene einen sehr großen Erfolg nicht nur in Polen, sondern auch außerhalb seiner Grenzen erzielt haben. Ich lade Sie somit herzlich zum 18. Internationalen Festival des Romaliedes und der Romakultur nach Ciechocinek ein, das am 1. und 2. August stattfinden wird. In Anbetracht des 70. Jahrestages der Roma-Vernichtung beginnen wir das Festival mit dem Gedenken an diese für uns schmerzhaften Ereignisse. Im geplanten Unterhaltungsprogramm treten sowohl polnische Gruppen als auch Gäste aus ganz Europa und der Welt auf. Ich bin überzeugt, dass das Festival den Zuschauern wie stets viele einzigartige Eindrücke bieten wird.

(Übersetzung von Lisa Palmes)