Gemäß der Problemdiagnose, die die PiS für die Dritte Polnische Republik erstellt hat, lässt sich diese Republik nicht einfach mittels pragmatischer institutioneller Veränderungen von Mängeln befreien. Jegliche Reformen werden blockiert, sofern sich herausstellt, dass die Ausführenden einem unerwünschten kulturellen Lager angehören. Der Erfolg des Regierungsprojekts hängt also davon ab, ob das bevorzugte Modell nationaler Identität verbreitet wird. Was dieses Projekt braucht, sind nicht hervorragende Institutionen, sondern loyale Vollstrecker.
Ein enger Mitarbeiter des polnischen Verteidigungsministers Antoni Macierewicz, Bartłomiej Misiewicz, wurde zum Austritt aus der Regierungspartei genötigt, nachdem er am siebten Jahrestag der Flugzeugkatastrophe von Smoleńsk eine hochbezahlte Stelle bei einer großen Rüstungsgesellschaft bekommen hatte. Dieses Ereignis warf die Frage auf, was die Konflikte innerhalb des Regierungslagers eigentlich zu bedeuten haben. Im genannten Fall lautete das Ziel, die Führungsambitionen des Verteidigungsministers zu dämpfen. Nach Ansicht einiger Publizisten, wie z.B. Michał Szułdrzyński von der „Rzeczpospolita“, sollte man die Reibereien innerhalb der Regierungspartei nicht ausschließlich im Sinne eines Machtkampfs zwischen den Fraktionen verstehen.
Das Problem hat Szułdrzyński zufolge einen grundsätzlicheren Charakter: Es handelt sich um einen tiefen ideologischen Konflikt zwischen Romantikern und Positivisten – Befürwortern einer moralischen Konterrevolution und einer Modernisierung – innerhalb der Regierung. Wie der Publizist erklärte, muss die Regierungspartei sich entscheiden: entweder eine antisystemische Ausrichtung oder Pragmatismus; entweder das Beharren auf schablonenhaften polnisch-katholischen Mustern von „Gott und Vaterland“ oder ein Loblied auf die Innovativität. Die PiS hätte indessen wohl gern das eine wie das andere.
Die „Veränderung zum Guten“ als existentielle Aufgabe
Szułdrzyński hat recht. Der innere Konflikt, mit dem die Regierung sich herumplagt, geht über ambitionengeleitetes Gerangel hinaus. Sollte jedoch in der Regierungspartei wirklich ein ideeller Konflikt zwischen Romantikern und Positivisten bestehen, dann ist er unlösbar. Eine tatsächliche Schwierigkeit stellt nämlich nicht die Entscheidung für eine Regierungsstrategie dar, sondern die Natur des PiS-Projekts selbst, das die Partei mit dem Namen „Veränderung zum Guten“ belegt hat.
Jarosław Kaczyńskis Partei hat viel Mühe darauf verwandt, zu beweisen, dass ihr grundsätzlichstes Bestreben darin liege, Polen seinen „Subjektcharakter“ – eine Art nationale „Eigenheit“ – zurückzugeben. Die PiS diagnostizierte, der Durchschnittspole habe sich bis dato in Polen nicht „bei sich zu Hause“ fühlen können. Aus kulturellen Gründen – sei doch die Kultur bislang von kosmopoliten und entwurzelten volksfeindlichen Eliten dominiert worden. Und aus ökonomischen Gründen – hätten sich doch jene Eliten nicht von polnischen Interessen leiten lassen, weswegen die Früchte der wirtschaftlichen Entwicklung nicht gerecht verteilt worden seien.
Zum obersten Ziel der PiS-Regierung wurde in dieser Situation eine Mission für eine nationale Identität, und bei dieser Mission greifen verschiedene symbolische und materielle Elemente ineinander. Gemäß der Problemdiagnose, die die PiS für die Dritte Polnische Republik erstellt hat, lässt sich diese Republik nicht einfach mittels pragmatischer institutioneller Veränderungen von Mängeln befreien. Jegliche Reformen werden blockiert, sofern sich herausstellt, dass die Ausführenden einem unerwünschten kulturellen Lager angehören. Der Erfolg des Regierungsprojekts hängt also davon ab, ob das bevorzugte Modell nationaler Identität verbreitet wird. Was dieses Projekt braucht, sind nicht hervorragende Institutionen, sondern loyale Vollstrecker.
Bartłomiej Misiewiczs Karriere ist so gesehen kein „Arbeitsunfall“, sondern die Quintessenz einer neuen Ordnung. Fragen der Modernisierung müssen funktional der Ideologie untergeordnet werden. Die materielle Modernisierung ist in dieser Vision kein eigenständiges Ziel, sondern – neben der symbolischen Politik – einer der beiden Typen von Instrumenten, mittels derer eine Identität entworfen werden soll.
Stellt man also die PiS vor das Dilemma, vor das Szułdrzyński sie stellt – ob die Legitimierung der Macht sich von jetzt an auf das Gefühl einer „polnischen Eigenheit“ oder auf wirtschaftliche Entwicklung stützen soll, auf die symbolische oder auf die materielle Sphäre –, dann hat die Partei keine Wahl. Mit anderen Worten: Die PiS muss in irgendeiner Form jener „Romantik“ treu bleiben. Das geht nicht ohne große Gesten. Sie muss sich verbrennen – und dabei auch ringsum etwas in Flammen setzen –, denn so ist sie gedacht.
Eine Chance auf Erfolg
Das praktische Problem besteht darin, dass der polnisch-katholische „Gott-und-Vaterland-Teil“ des PiS-Projektes allein keinen Wahlerfolg bringen kann; er muss in einem Paket mit Modernisierungserfolgen daherkommen – eine für die PiS äußerst unbequeme Wahrheit. Hätte Recht und Gerechtigkeit tatsächlich das Volk vom Diktat feindlicher Eliten „befreit“, würde das Volk ihr auf natürliche Weise folgen.
Die PiS muss also die Tatsache verbergen, dass sie in Wahrheit nicht das Volk repräsentiert, sondern jenes „Volk“ wie eine nutzbringende Fiktion behandelt – dass sie es politisch nach ihrem eigenen Abbild erschafft. Die PiS möchte die Regeln der Politik ihrer eigenen Identitätsmission unterordnen, doch das darf sie nicht tun, und sie darf sich auch nicht dazu bekennen. Die Machthaber müssen kompromisslos bleiben, diese Haltung artikuliert ihre Ideale und legitimiert ihre Mission; zugleich jedoch müssen sie flexibel werden, da das Wahlerfolge möglich macht.
Schlussendlich bleibt die Partei also kompromisslos, wenn es um die Form geht – und erweist sich beim Inhalt als vollkommen unentschlossen. Das Glaubensbekenntnis wird wichtiger als die Resultate der Mission, ja sogar als der Glaube selbst. Über die Fortführung des Projekts wird keine festgelegte Doktrin entscheiden, sondern jeweils aktuell erwünschte Seilschaften, wobei eine übergeordnete Autorität diesen gegenüber die endgültige Entscheidungsinstanz darstellen muss – Jarosław Kaczyński.
Die unerträgliche Schwere des Seins
Das Grundprinzip dieses Landsturms erweist sich somit als einfach und paradox: der Elite hinterhereifern. Die PiS bietet Veränderung in Form von hochgezogenen Mauern und einer kraftstrotzenderen Vision einer gemeinschaftlichen Identität – der Inhalt jener Identität aber lässt sich lediglich durch passive Beobachtung der regierungsseitigen Bewegungen bestimmen. Die Entscheidungen der Parteielite sind das einzige Kriterium für Erfolg und Misserfolg.
In dieser Lage kann von den Regierenden nichts anderes verlangt werden, als die Grenzen des Zugangs zur Gemeinschaft zu verteidigen, doch selbst diese Grenzen legt die Regierung taktisch selbst fest. Man kann nun also entweder selbst das Gefühl einer „polnischen Eigenheit“ entwickeln und alles liebgewinnen, was da kommt – oder man findet sich hinter der Mauer wieder. Die Wähler müssen sich mit allem einverstanden erklären, was die Partei vorschlägt. Das ist eine Herrschaft, die man nur unterstützen kann, sonst nichts.
Die Identitätsmission der Regierung verlangt somit eine hohe Dosis an Gehorsam und garantiert keinerlei Resultate. Dieses Projekt bricht immer wieder unter seinem eigenen Gewicht zusammen, muss aber jeden Zusammenbruch als Erfolg im Kampf mit seinen mächtigen und zahlreichen Gegnern präsentieren. Es ist ein Projekt, das sich radikal geben muss – und das zugleich verbergen muss, in welchem Maße es vom Zufall regiert wird.
Es ist ein schlicht unmögliches Projekt. Und von Mängeln befreien lässt es sich nicht.
Fot. Elekes Andor, Wikimedia Commons.
Übersetzt von Lisa Palmes.