Haben die Grünen das Programm des grünen Wandels der Bürgerkoalition [Koalicja Obywatelska, KO] übernommen?
Nein. Wir haben unser eigenes Programm. Mit der Bürgerplattform haben wir uns jedoch in den wichtigsten Punkten der Klimapolitik und der allgemeinen Richtung geeinigt.
Wo liegen die Unterschiede in den Programmen der KO und der Grünen?
Die Unterschiede liegen im Datum für den Kohleausstieg und bei der Höhe der Emissionsreduktion bis 2030 und 2050. Exemplarisch dafür ist die jüngste Abstimmung im Europäischen Parlament, das ein Reduktionsziel von 60 Prozent bis 2030 im Vergleich zu 1990 verabschiedet hat. Wir sprachen uns für einen noch höheren Emissionsrückgang von 65 Prozent aus. Die polnische Delegation in der Europäischen Volkspartei (EVP) votierte für ein weniger ehrgeiziges Ziel von 55 Prozent.
Wir sind uns jedoch alle einig, dass wir die Klimaneutralität bis spätestens 2050 erreichen sollten. In unseren Gesprächen einigten wir uns auch darüber, dass wir nicht in die Kernenergie einsteigen wollen.
Das ist eine Forderung, die oft mit den Grünen in Verbindung gebracht wird, ist aber die ganze Bürgerplattform ebenfalls gegen den Bau von Atomkraftwerken in Polen?
Ja. Wir haben es nicht in unserem gemeinsamen Programm festgeschrieben, aber wir waren uns in den Gesprächen einig, dass dies keine gute Richtung wäre.
Warum sind die Grünen eigentlich dagegen?
Die Kernkraft ist heute die teuerste Energiequelle in Europa, während die Preise für Sonnen- und Windenergie auf ein Niveau gefallen sind, das sogar um ein Vielfaches unter dem der traditionellen Energiequellen liegt. Hinzu kommt, dass der Investitionsumfang für ein Land ohne eigene Kernkrafttechnologie enorm wäre. Trotz alledem plant Polen, Finanzmittel in Höhe von mehreren Hundert Milliarden Złoty im teuersten und im Abstieg begriffenen Sektoren der Atom- und Gastechnologie zu binden.
Hinzu kommen noch Risiken und Kosten, die sich aus der langjährigen Lagerung von gefährlichem Atommüll ergeben. In Deutschland findet heute eine dramatische Suche nach einem geeigneten Endlager statt. Die Bundesländer und die Bürger:innen wollen das nicht.
Was wäre aber, wenn mit der Entwicklung der Technologie die Kosten sinken würden und die Bürger:innen sich überzeugen ließen?
Es gibt noch einen triftigen Grund: Das sind die besseren Technologien, deren Preise von Jahr zu Jahr sinken. Die Welt entwickelt sich weiter. Polnische Wissenschaftler:innen meinen, dass aus dem polnischen Wind, Sonne und Biogas ein stabiler Energiemix entstehen kann. Wir haben auch sich entwickelnde wasserstoffbasierte Technologien, die noch teuer sind, aber billiger werden. Ein enormes Potenzial steckt zudem in der Thermomodernisierung und der Energieeinsparung. Das wird reichen. Wir sollten nicht Ressourcen, die wir nicht haben, in die teuerste und für uns neue Nukleartechnologie stecken.
Es überrascht mich aber überhaupt nicht, dass die Amerikaner versuchen, sie uns zu verkaufen. Es handelt sich um eine Auslauftechnologie, die sie weder in Deutschland noch anderen hochentwickelten Ländern, die sie nicht mehr verwenden, verkaufen können. Wer soll sie also kaufen? Polen. Die derzeitige Regierung nimmt gerne die Abfälle anderer, und so werden wir auch eine Technologie, die nicht mehr genutzt wird, kaufen. Das ist absurd.
Kritiker sagen, dass es ohne Kernkraftwerke an sauberen und stabilen Energiequellen fehle, da manchmal die Sonne nicht scheint, der Wind nicht weht und die Technologien zur Speicherung erneuerbarer Energien (EE) noch nicht ausreichen. Was entgegnen Sie solchen Vorwürfen?
Ich schlage vor, mit polnischen Wissenschaftler:innen und Enegieexpert:innen zu sprechen. Neben Solar-, Wind- und Biogas-Energie müssen wir grenzüberschreitende Verbindungen entwickeln, die die Solidarität und Energiesicherheit Europas stärken. Wenn wir die Energieeffizienzziele erreichen, zu denen wir uns im Rahmen des Pariser Abkommens verpflichtet haben, sind wir bereits heute in der Lage, einen Energiemix aus sauberen polnischen Energiequellen zu entwickeln, der für unsere Bedürfnisse ausreichen würde und stabil wäre. Dies bestätigen Energieexpert:innen und andere Fachleute in unserem Land.
Im Zusammenhang mit der aktuellen Pandemie denken wir an verschiedene unerwartete Begebenheiten. Ist ein solcher Energiemix gegen unvorhergesehene Ereignisse resistent genug? Angenommen, irgendwo bricht ein Vulkan aus und der Staub schränkt den Zugang zur Sonne für lange Zeit ein.
Die Erfahrungen zeigen, dass ein robustes und dauerhaftes System dezentral sein muss. Was die polnische Regierung zurzeit macht, kann nicht als Klimapolitik bezeichnet werden. Bei dieser Konzentration der Energiequellen handelt es sich um eine Politik der vollendeten Tatsachen bei gleichzeitigem Mangel an Strategie. Ein solch zentralisiertes System reagiert besonders empfindlich auf unberechenbare Ereignisse, von denen Sie sprachen. So ist bei uns beispielsweise Wassermangel für die Kühlung eine reale Gefahr. Dieses Problem betrifft sowohl Kohle- als auch Kernkraftwerke, die ebenfalls große Mengen Wasser für ihre Kühlungssysteme benötigen.
Ein System, das auf erneuerbarer Energie basiert, kehrt dieses Paradigma vollständig um. Eine Dezentralisierung, eine Streuung der Energieerzeugung wäre die Folge. Jede:r von uns wäre in gewisser Weise bei der Energieversorgung unabhängig. Alle würden Paneele auf ihren Dächern oder ein Windrad haben, die das Wohngebiet versorgen. Und für die Nacht, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, eine kleine Biogasanlage. Wir hätten ein intelligentes Versorgungsnetz, das auf Angebots- bzw. Nachfrageschwankungen reagieren würde. Dank einer solchen Konstruktion wäre jede Wohnsiedlung unabhängig vom zentralen System und bei unvorhergesehenen Ereignissen widerstandsfähiger.
Die jüngsten Hitzewellen und Feuerwalzen in Australien verdeutlichten die Vorteile eines solchen Systems. Infolge der Hitze und der Brände fehlte Wasser zur Kühlung der Kraftwerke und die mit Kohle betriebene Energieversorgung hörte auf zu funktionieren. Im Bundesstaat Victoria entschuldigte sich die Energieministerin Lily D’Ambrosio dafür, dass das System auf den fortschreitenden Klimawandel mangelhaft vorbereitet war. Die einzigen Menschen, die über Elektrizität verfügten, waren diejenigen, die an eigene oder kommunale Energieversorgung angeschlossen waren. Dies ist ein weiteres Argument gegen eine zentralistische Versorgungsstruktur.
Kürzlich hat das Klimaministerium einen Entwurf zur Energiepolitik Polens bis 2040 vorgestellt. Was sind die Vor- und Nachteile dieses Papiers?
Endlich erkannte man, dass regionalen Plänen für den Energiewandel höchste Priorität zukommen sollte. Das ist ein großer Vorteil. Außerdem hat man, wenn auch nur geringfügig, den Termin für den Kohleausstieg vorverlegt.
Bei dem Rest sehe ich leider nur Probleme. Es ist zwar geplant, früher aus der Kohle auszusteigen, doch es wird kein Termin genannt, was eine Planung unmöglich macht. Vielmehr soll die Energielücke nach dem Kohleausstieg durch die Kernkraft ausgefüllt werden. Das ist kein Sprung in die Zukunft, sondern ein erneuter Schritt in eine Energieabhängigkeit. Dieses Mal in die der amerikanischen Technologielieferanten. Mit der Investition in die Kernkraft bereitet der Regierungsbevollmächtigte für uns eine Verschuldung von mehreren Hundert Milliarden Złoty vor. Die Kosten für den Bau eines Energieblocks werden auf 30 Milliarden Złoty geschätzt und Polen plant sechs davon. Außerdem ist es unklar, wann unser Land die Klimaneutralität erreichen sollte.
Inzwischen fanden Proteste der Bergleute statt. Nach kurzen Beratungen wurde eine Erklärung abgegeben, aus der hervorgeht, dass das letzte Bergwerk 2049 geschlossen werden soll. Wie sehen Sie die Proteste der Bergarbeiter und die Politik der Regierung bezüglich der Abkehr vom Bergbau?
Ich habe den Eindruck, dass die Regierung die Bergleute betrügt. Zwischenzeitlich hatte ich mit Artur Soboń, dem Bevollmächtigten der Regierung für die Energiewende Mitleid, weil er mit den wütenden Bergleuten, die in eine unsichere Zukunft blicken, vor Ort verhandeln musste. Er tat mir persönlich leid. Die Situation der Bergleute ist dabei deutlich schlimmer.
Nur hat Soboń keinen Plan, also gibt es auch keine Klarheit. Die Regierung ändert ihre Meinung je nachdem, wer die Fragen stellt, mit wem sie spricht und macht sie vom Zeitpunkt der kommenden Wahlen abhängig. Aus der Sicht des europäischen Rechts und der Kohlesubventionen ist der Stichtag für die Schließung des letzten Bergwerks im Jahr 2049 völlig unrealistisch.
Ist das zu spät?
Es ist zu spät und wird von der Europäischen Kommission nicht akzeptiert. Die Regierung scheint ein Datum genannt zu haben, nur um die Proteste für eine Weile zu stoppen und sich selbst Zeit zu verschaffen. Ich habe den Eindruck, dass sie wiederkommen werden. Im Übrigen haben die Bergarbeiter bereits angekündigt, dass sie die Proteste überhaupt nicht ausgesetzt haben und wir vor Weihnachten wieder Protestaktionen vor den Werkstoren erwarten können. Schlussendlich muss jemand mit den Bergleuten ehrlich sprechen und Ziele setzen. Sie müssen über Termine informiert werden, zu denen sie reagieren, sich vorbereiten oder sich für neue Aufgaben umschulen können. Aber dazu zu sind weder Minister Sasin [1], Minister Kurtyka noch Ministerpräsident Morawiecki in der Lage. Stattdessen schicken sie einen Stellvertreter, der den Bergleuten etwas vormachen soll.
Das Europäische Parlament hat neulich ein Klimagesetz für die EU verabschiedet.
Wir haben uns sehr gefreut, dass es dem Europäischen Parlament gelungen ist, für das Jahr 2030 ein höheres Klimaziel zu verabschieden. Das ist ein bedeutender Sprung bei der Emissionsreduktion von den bisherigen 40 auf 60 Prozent. Es verdeutlicht, dass die Europäer:innen und das Europäische Parlament verstehen, wie wenig Zeit uns bleibt. Wenn wir fossile Brennstoffe mit der gleichen Geschwindigkeit wie bisher verbrennen werden, erreichen wir laut der Berichte des IPCC in 8 Jahren einen Temperaturanstieg, der im Vergleich zum Beginn des Industriezeitalters um 1,5 Grad Celsius höher liegt. Wir haben also nur noch 8 Jahre Zeit. Ich habe mich auch besonders darüber gefreut, dass einige EU-Abgeordnete aus der Europäischen Volkspartei, wie die Grünen, für ein höheres Ziel von 65 Prozent stimmten.
Es gibt kritische Stimmen, die meinen, dass das Ziel für Polen zu ehrgeizig sei und wir nicht genug Geld für einen energetischen Übergang bekommen, sodass wir es nicht erreichen können.
Ich sehe es anders. Es ist erstens ein Ziel für die gesamte EU. Nun muss es in Einzelziele zerlegt und vom Europäischen Rat in den sogenannten Trilogen akzeptiert werden. Einige Länder deklarieren, dass sie das Ziel viel früher erreichen werden. Es ist aktuell nicht so, dass die 60 Prozent Emissionsreduktion für Polen sofort gelten.
Zweitens: je höher das Ziel, desto ehrgeiziger die Ambitionen Europas und desto größer die Chance für Polen, einen größeren Haushalt für unsere rückständigste und am stärksten von der Kohle abhängige Wirtschaft auszuhandeln. Europa wird es verstehen. Ich würde es in den Verhandlungen einsetzen, anstatt zu sagen, dass wir es nicht tun können und sich dabei mit Händen und Füßen dagegen zu stemmen. Sonst fährt der Zug ab, wir bekommen gar kein Geld und unsere Partner werden nicht mehr mit uns reden. Wir können das nicht zulassen und müssen diese epochale Gelegenheit nutzen.
Wie beurteilen Sie die Haltung der Regierung zu Fragen der Ökologie? In diesem Bereich scheint es einige Veränderungen zum Besseren zu geben.
Ich habe den Eindruck, dass die Regierung das Ausmaß der Probleme im polnischen Energiesektor sieht. Sie sieht, wie sehr wir in den Entwicklungen hinterherhinken und wie man die Energiepreise manuell niedrig halten muss, weil wir die höchsten Großhandelspreise für Strom in Europa haben. Im Alltag sehen wir nicht, wie viel von diesen Subventionen an Unternehmen wie die Polnische Bergbaugruppe (PGG) und andere Firmen gehen, die bereits so unrentabel sind, dass sie ständig finanziell unterstützt werden müssen.
Es scheint, dass der Ministerpräsident Morawiecki und das Entwicklungsministerium versuchen, eine moderne europäische Richtung einzuschlagen. Es ist jedoch ungeschickt und bleibt wirkungslos. Die fortschrittliche Fraktion in der Regierung wird durch die sehr starke Kohle- und Atomlobby in der Partei und der Regierung blockiert.
Während des EU-Gipfels im Juli dieses Jahres stimmte Mateusz Morawiecki den Klimazielen zu. Dann kehrte er nach Polen zurück und verkündete, dass er mit ihnen nicht einverstanden sei. Er kam hierher und sagte etwas anderes als auf dem Gipfel, weil er vor seiner Regierung und seinen Wählern das Gesicht eines Klimadinosauriers und -leugners zeigen musste und zu sagen hatte, dass die europäische Politik uns an den Rand des Abgrunds führe. Aber ich glaube, dass sich am Ende die Wahrheit durchsetzen wird und die Regierenden – neue Regierende – beginnen werden, verantwortungsvolle Entscheidungen für einen grünen Wandel und die Umsetzung der europäischen Klimapolitik zu treffen. Ich versuche mein Bestes, damit dies so schnell wie möglich geschieht.
[1] Jacek Sasin ist u. a. Minister für Staatsgüter und Regierungsbevollmächtigter für die Umwandlung von Energieunternehmen und den Kohlebergbau, Anm. d. Übers.
[2] Michał Kurtyka ist seit 2020 Klima- und Umweltminister, Anm. d. Übers.
[3] Intergovernmental Panel on Climate Change, Anm. d. Übers.
Der Text wurde mitfinanziert durch die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit im Rahmen der Projektlinie „Deutsch-Polnische Bürgerenergie fürs Klima“, die durch das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland finanziert wird.
Aus dem Polnischen von Jakub K. Sawicki