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Die Bergleute haben keine Angst vor Greta Thunberg, sondern vor der Hilflosigkeit der Regierung

Mit Jarosław Niemiec sprach Jakub Bodziony. · 24 November 2020

„Wir sollten ein Subjekt und kein lästiges Problem sein. Wir wollen nicht ein zweites Mal menschlicher Abfall sein, wie es bei der Wirtschaftstransformation von Leszek Balcerowicz der Fall war. Für die Bergleute war es eine Tragödie, die wir nicht so schnell vergessen werden“, sagt der Gewerkschaftler aus dem Bergwerk Bogdanka.

 

Jakub Bodziony: Haben Sie Angst vor Greta Thunberg?

Jarosław Niemiec: Nein, warum? Sie ist ein junges Mädchen und das Gesicht einer Kampagne, aber sie ist nicht das Problem.

Es wirkt, als ob sie es wäre. Als sich die Bergleute aus Bełchatów mit ihr fotografieren ließen, wurden sie von ihren Kollegen aus derselben Branche in den sozialen Medien mit Dreck beworfen. 

Weil es am einfachsten ist, gegen einen Teenager zu hetzen. Die Aggressionen gegen Greta zu richten, lenkt von den wirklichen Problemen ab. Von Menschen, die echten Einfluss auf die Dinge haben. Die harten und starken Bergleute sollten nicht auf Kinder losgehen, sondern sich mit den Stärkeren anlegen. Es wäre zumindest ehrenhafter.

Sind Sie der Meinung, dass Kohlebergwerke in Polen so schnell wie möglich geschlossen werden sollten?

Über Bergwerksschließungen können wir sprechen, wenn in Polen Technologien für erneuerbare Energiequellen auftauchen. Im Augenblick basiert unsere Energieversorgung auf Kohle und eine Schließung der Bergwerke würde dazu führen, dass Energie vollständig aus dem Ausland importiert werden müsste, was eine Bedrohung für die Energiesicherheit darstellen würde. Sollten keine Alternativen zu ausländischen Energiequellen, wie z. B. polnische Kraftwerke, gefunden werden, dann können wir mit einem sofortigen Anstieg der Strompreise rechnen.

Die Bergleute beharren nicht auf der Kohle als Energieträger, sondern wollen eine klare Alternative? 

Natürlich. Die Arbeit an der frischen Luft, auf Fotovoltaikanlagen oder an Windmühlen ist besser als das Malochen unter Tage. Wir brauchen nur einen echten Vorschlag und keine Abfindung, die für drei Jahre reichen würde. Momentan würde eine Schließung der Bergwerke in Schlesien zu einer Degradierung einer ganzen Region führen. Ich bin auf diesem Gebiet kein Experte, aber die Menschen, die sich mit diesem Thema global beschäftigen, wie die berühmte amerikanische Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez, sagen dasselbe wie wir. Wir sollten ein Subjekt und kein lästiges Problem sein. Wir wollen nicht ein zweites Mal menschlicher Abfall sein, wie es bei der Wirtschaftstransformation von Leszek Balcerowicz der Fall war. Für die Bergleute war das eine Tragödie, die wir nicht so schnell vergessen werden.

Inwieweit deckt sich die Arbeit, die Ihr derzeit leistet, mit den Qualifikationen, die in der Branche der erneuerbaren Energien benötigt werden?

Es ist einfacher, als es scheint. Ein Elektriker, der in der Bergbauindustrie beschäftigt ist, muss als hochklassiger Fachmann sowohl mit den grundlegenden Angelegenheiten als auch mit den gesamten Steuerungssystemen vertraut sein. Das heißt, dass er über die erforderlichen Fähigkeiten und Kompetenzen verfügt, um mit Fotovoltaik Modulen zu arbeiten. Elektriker, Mechaniker oder Bergleute sind bereit für mögliche Umschulungen. Ein Bergmann muss in allen Situationen mit Problemen fertig werden.

Was erwarten Sie genau, wenn Sie sagen, dass sie als Subjekte behandelt werden wollen?

Es geht darum, dass polnische Energie- und Bergbauunternehmen sich aktiv an der Energietransformation beteiligen. In meinem Bergwerk Bogdanka wurde die Idee geboren, auf dem postindustriellen Gelände Fotovoltaik-Farmen zu bauen. Um die Situation zu vermeiden, dass ein unbekannter Unternehmer kommt und fast die ganze Belegschaft austauscht. Im Mittelpunkt sollten Bergleute stehen, die schrittweise von einer Branche in die andere wechseln. Dies erfordert eine Intervention des Staates, und das ist wohl das größte Problem in Polen. Wir verbinden nach wie vor jede zentrale Planung mit schrecklichen Folgen. In Deutschland haben die Arbeitnehmer ihre Bereitschaft zur Beteiligung an der Energiewende manifestiert und betont, dass sie nach wie vor in der Branche bleiben wollen.

Abb. Max Skorwider

In Polen habe ich nie erlebt, dass Bergleute mit ähnlichen Parolen protestiert hätten. Streiks dienten lediglich der Verteidigung ihrer Gehälter und Privilegien. Darauf reagieren viele Menschen mit Unverständnis. 

Wenn unsere Existenz bedroht wird, gibt es keine Zeit, um über die Transformation nachzudenken. Es geht ums Überleben. Die Abfindungen, die derzeit an entlassene Arbeitnehmer gezahlt werden, sind geradezu lächerlich. Im Augenblick wird uns keine weiche Landung garantiert. Bitte seien Sie nicht überrascht, dass die Bergleute mit Zähnen und Klauen ihr Einkommen verteidigen. Es ist von uns nicht zu erwarten, dass wir eine größere Vorstellungskraft haben und bessere Perspektiven anbieten, als die Leute, die unser Land regieren.

Glauben Sie, dass Jacek Sasin [1] Ihnen auf Augenhöhe begegnen wird? Am Montag kündigte er an, dass das Ende der Kohleverstromung in Polen spätestens 2060 erfolgen wird.

Das glaube ich nicht. Die Gewerkschaftler fordern seit langem eine Strategie für den Bergbau. Minister Sasin hat einen Plan vorgelegt, den man mit drei Worten zusammenfassen kann: „Stilllegung der Bergwerke“. Seit 30 Jahren hat niemand einen realistischen Plan für den Bergbau vorgelegt, und wir haben noch mehr als zwei Jahrzehnte, in denen wir funktionieren sollen. Wir wollen nur wissen, wann und welche Bergwerke geschlossen werden müssen und wie viel und wie lange wir Kohle fördern werden. Wir brauchen Antworten auf diese Fragen, um Vorbereitungsmaßnahmen festzulegen, technische und wirtschaftliche Arbeiten durchzuführen und die Beschäftigung von Menschen in den Bergwerken zu regulieren.

Die drei Bergwerke, die Jacek Sasin schließen wollte, liegen in unmittelbarer Nähe zueinander. Wenn sie geschlossen werden, wird die gesamte Region [um die Kreisstadt] Ruda Śląska degradiert. Was sollen diese Leute tun, sich eigene „Armenschächte“ [2] buddeln?

Sie bekommen wahrscheinlich eine Abfindung oder einen Zuschuss für Ihr eigenes Unternehmen. 

Klar, 100.000 Złoty reichen wunderbar für eine Dönerbude. Man kann einen Bergmann zu einem Elektriker, Mechaniker oder Betreiber einer Fotovoltaikanlage umschulen, aber nicht zu einem Geschäftsmann.

Ich verstehe den Ansatz der Regierenden nicht ganz. Es liegt doch im Interesse der Regierung, mit den Bergleuten zu einer Einigung zu kommen und einen Plan vorzulegen?

Seit den Zeiten von Donald Tusk ist mir aufgefallen, dass polnische Politiker, wenn sie auf das Wirtschaftssystem stoßen, seltsam hilflos sind. Vor kurzem hörten wir auf einem trilateralen Kommissionstreffen, dass die Herrschenden für die Bergleute das Beste wollen, aber die Europäische Kommission, internationale Abkommen, der Grüne Deal und Greta Thunberg im Wege stünden. Die gegenwärtige Regierung hat über den vermeintlichen Impossibilismus bei Tusk gelacht und verhält sich nun genauso. Natürlich gibt es Parolen über die Souveränität und Unabhängigkeit, wenn es aber um was geht, knien sich die Minister nieder und sagen, dass es unmöglich sei.

Hatten Sie den Eindruck, dass jemand wirklich eine echte Vision für Sie hatte, die über die Konkursverwaltung hinausging?

Nein, genau darum geht es. Sie haben es gut ausgedrückt, denn die Regierung verhält sich wie ein hilfloser Konkursverwalter. Gute und ehrliche Absichten reichen hier nicht aus. Unter den Gewerkschaftlern gibt es einen Witz, bei dem einer fragt: „Wann wird der Plan für den Bergbau fertig sein?“ Die Antwort der Regierung ist immer die gleiche: „Er wird soeben erstellt.“ Dann scherzen wir, dass im Ministerium jemand den Computer eingeschaltet hat. Dafür bräuchte man eigentlich ein Jahr für Verhandlungen. Stellen Sie sich vor, dass wir beschließen, dass ein Bergwerk geschlossen wird. Für jedes Jahr werden für das Budget dieses Postens 40 Milliarden verschiedener Beiträge und Betriebskosten veranschlagt. Wer treibt dieses Geld auf und wo?

Die Bergbauindustrie macht doch riesige Verluste und die Regierung muss die Branche jedes Jahr subventionieren. 

Nein, nein, nein. Das Bergwerk Bogdanka hat in den letzten Jahren Milliardengewinne gemacht, die in den Staatshaushalt geflossen sind.

Problematisch sind, denke ich, nicht Werke wie das in Bogdanka, sondern die, die in der Polska Grupa Górnicza [Polnische Bergbaugruppe] assoziiert sind. 

Insgesamt ist der Bergbau im Staatshaushalt ein Nettobeitragszahler. Obwohl die wirtschaftliche Kalkulation des Abbaus selbst negativ ist, fließt immer noch viel Geld aus den Bergwerken in den Haushalt.

Inwiefern?

Aus Forderungen und Steuern, die dieser Sektor langfristig zahlt, das sind öffentlich zugängliche Berechnungen.

Es gibt auch viele andere [Berechnungen], die aufzeigen, dass wir für jede Tonne Kohle draufzahlen. Aber als die Regierung nach Streikankündigungen nachgab, tauchten Kommentare auf, die man als Kapitulation der Regierenden vor der erpresserischen Drohung, den Konflikt auf die Straßen der Hauptstadt zu bringen, zusammenfassen kann. Zudem gibt es noch die Geschichten über „Dreizehner“ und „Vierzehner“ [über die zwölf Monate reichenden Lohnauszahlungen, Anm. d. Übers.] für Bergarbeiter und Kohlesubventionen wie Boni. Es heißt, es gäbe nur 83.000 Bergleute, und die 38 Millionen Bürger:innen müssten Ihren Forderungen nachgeben.

Man muss die 83.000 mit fünf multiplizieren, da viele Arbeitsplätze mit dem Bergbau verbunden sind. Es zeigt das Ausmaß der möglichen Bedrohung durch Arbeitslosigkeit und Armut. Außerdem gibt es keine separaten „Dreizehner“ und „Vierzehner“. Die Lohnsumme wird für das ganze Jahr bewilligt, einschließlich aller Verdienste des Bergarbeiters. Ob diese in vierzehn oder zwölf Gehältern ausbezahlt wird, ist unerheblich. Für die Bergwerke ist das eine bequeme Art der Auszahlung. Aber es handelt sich dabei nicht um zusätzliches Geld, nur um eine besondere Form der Überweisung.

Polen soll einer der größten Nutznießer des EU-Fonds für einen gerechten Übergang werden, ist das nicht genug?

Das sind irgendwelche Mittel, die ausgegeben werden können, aber wir sollten uns auf die polnische Regierung verlassen können. Heute gibt es Kritik an der deutschen Regierung, dass Berlin staatlichen Protektionismus praktiziere. Nur macht dies so viel Sinn, wie der Vorwurf an einen Buckligen, dass seine Kinder einen graden Rücken haben. Bei uns könnte es auch so sein. Um den Energiemix zu ändern, braucht es aber einen politischen Willen.

Die Deutschen verbrennen nach wie vor Kohle, nur das diese importiert wird. Und obwohl der Anteil der erneuerbaren Energie im deutschen Energiemix zunimmt, sind gleichzeitig auch die Stromrechnungen für die Normalverbraucher gestiegen. 

Das ist richtig, aber sie machen dabei ein gutes Geschäft. Vor Jahren investierten sie viel Kapital in neue Technologien und werden nun ihre Überschüsse an Länder verkaufen, die bei der Modernisierung ihrer Energieversorgung zu spät kamen.

Aber ist es nicht so, dass sich eine erfolgreiche und umfassende Transformation lohnen muss? Es ist schwierig, Menschen von noblen Ideen zu überzeugen, wenn ihre Umsetzung mit einer Reihe von Kosten und Opfern verbunden ist.

Das ist wahrscheinlich ein falsches Paradigma. Wenn wir immer nur daran denken, was sich lohnt, werden wir alle bald sterben. Vorläufig lohnt es sich für Indien so viel Kohle zu verbrennen wie nur möglich. In China ist die Situation die gleiche. Selbst wenn wir uns nicht selbst vergiften, so tun sie es doch.

Ich denke, dass es sich lohnt nicht zu sterben.

Nur das die Wirtschaft so nicht funktioniert und das wissen sie. Was zählt, ist der Profit hier und jetzt, und wer reich ist, wird einen Platz auf der Welt finden, wo man noch leben kann. Um das Schicksal der Armen hat sich in der Vergangenheit niemand gekümmert, und ich glaube nicht, dass sich das geändert hat.

Damit Polen aus dieser Situation mit heiler Haut davonkommt, muss es sofort viel Geld ausgeben und mit der Illusion eines „kostengünstigen Staates“ brechen. In Deutschland hat niemand mit der Idee gespielt, den Bergbau auf dem freien Markt feilzubieten.

Ist der Vergleich mit Deutschland gerechtfertigt? Es ist doch ein viel reicheres und größeres Land als Polen. 

In einem großen Agrar- und Industrieland wie Polen wird der Energiebedarf wachsen und es kann dabei nicht gespart werden. Einst waren auch Schweden und Finnland sehr arm, aber sie investierten über Jahre hinweg in öffentliche Dienstleistungen und eine staatliche Infrastruktur. Der Energiesektor ist heute ein Element im Blutkreislauf der polnischen Wirtschaft, das wir dramatisch vernachlässigt haben.

Sie haben in einem Text geschrieben: „um gerecht zu sein, muss der Energiewandel antisystemisch ablaufen“. Was heißt das?

Energie ist die Grundlage moderner Gesellschaften, und der Zugang zu ihr sollte eher ein Recht als eine Ware sein. Es scheint mir, dass die Klimakrise dazu führen wird, dass die Besteuerung der reichsten Menschen zu einer Notwendigkeit wird und die Dogmen des freien Marktes infrage gestellt werden. Der Energiehunger in den sich entwickelnden Ländern ist riesig, und wenn wir keine Alternativen vorschlagen, wird er mit Kohle gestillt werden. Einige nennen es Sozialismus, andere Populismus – ich nenne es Systemwandel. Wie der Feudalismus und die Sklaverei muss sich der Kapitalismus radikal verändern oder er wird zu Ende gehen. Andernfalls wird unsere Gier dazu führen, dass die Menschheit einfach vergeht.

 

[1] U.a. Minister für Staatsgüter und Regierungsbevollmächtigter für die Umwandlung von Energieunternehmen und den Kohlebergbau, Anm. d. Übers.

[2] Bei einem Armenschacht (poln. biedaszyb) handelt es sich um eine Art Minibergwerk, das meist von verarmten ehemaligen Bergleuten betrieben wird, vgl. u. a. T. Rakowski: Zwischen Sammeleifer und Archäologie. Die Erfahrung von Geschichte und Gegenwart bei degradierten Gemeinschaften in den polnischen Westgebieten (am Beispiel von Waldenburg und Umgebung), in: Wiedergewonnene Geschichte. Zur Aneignung von Vergangenheit in den Zwischenräumen Mitteleuropas, hg. v. P. O. Loew et al., Wiesbaden 2006, S. 330, Anm. d. Übers.

Der Text wurde mitfinanziert durch die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit im Rahmen der Projektlinie „Deutsch-Polnische Bürgerenergie fürs Klima“, die durch das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland finanziert wird.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Aus dem Polnischen von Jakub K. Sawicki