Latest / Wie baut man in Belarus eine Rechtsstaatlichkeit auf?

Ist es das Ende der Krise an der polnisch-belarussischen Grenze?

Witold Jurasz und Jakub Bodziony · 9 December 2021

Zur jetzigen Entspannung der Lage an der polnisch-belarussischen Grenze haben die Maßnahmen polnischer Behörden beigetragen, die massenhafte Grenzübertritte durch die Migranten verhindert haben. Mindestens genauso wichtig waren aber diplomatische Bemühungen der EU-Vertreter, darunter die der französischen und der deutschen Politiker.

Sowohl die ausscheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel, als auch der französische Präsident Emmanuel Macron haben mit Wladimir Putin darüber gesprochen und Merkel hat Alexander Lukaschenko zweimal angerufen. Initiativen aus Berlin und Paris haben zu heftigen Reaktionen der polnischen Regierung und eines Teils der Öffentlichkeit geführt. Es hagelte Vorwürfe des Verrats und es wurde auch vorgeworfen, man würde sich über Warschau hinwegsetzen.

Kurz danach ist es an der Grenze doch ruhiger geworden. Die Anzahl der versuchten Grenzübertritte sank und ein Großteil der Migranten wurde durch belarussische Geheimdienste in die eigens hierzu vorbereiteten Lagerhallen abtransportiert.

Dank diplomatischen Bemühungen der Europäischen Union ist es gelungen, Flüge aus Nahosten nach Belarus Großteils zu stoppen. Aus Minsk fliegen nun Maschinen in den Irak und bringen die aus diesem Land stammenden Migranten heim. Gleichzeitig ist die Lage derer, die in Wäldern an der Grenze festsitzen, wegen der winterlichen Kälte und Schnee immer dramatischer. Diese Menschen zwischen den Behörden beider Staaten hin und her zu transportieren, kann für sie lebensgefährlich werden.

Ob es schon das Ende der Krise an der EU- und NATO-Ostgrenze ist, spricht mit „Kultura Liberalna” in einem Videopodcast Witold Jurasz. Nachstehend veröffentlichen wir die gekürzte Fassung dieses Gesprächs.

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Jakub Bodziony: Beobachten wir wirklich das Ende der Krise an der polnisch-belarussischen Grenze? 

Witold Jurasz: Für eine Einschätzung ist noch zu früh, allerdings deutet viel darauf hin. Womöglich werden nun keine neuen Migranten nach Belarus geholt. Doch die Lösung dieser Krise wird darin bestehen, dass Maßnahmen ergriffen werden, bei denen keine der Seiten ihr Gesicht verlieren muss und mindestens einen Teilerfolg verkünden kann.

Worauf sollte dies bei Alexander Lukaschenko beruhen? 

Ein paar Flugzeuge mit Migranten werden wohl noch in Belarus landen, aber der Rest wird wahrscheinlich durch die Grenze geschleust.

Dann ist diese Grenze nicht so dicht, wie es die polnischen Behörden erklären.

Die Deutschen sprechen offiziell über ca. 10 000 Personen, die in der letzten Zeit eingereist sind. Und dann haben einige Migranten ihre Einreise doch nicht gemeldet.

Lukaschenko könnte nur schwer alle Migranten in ihre Heimatländer zurückschicken, denn dann würde er Schwäche einräumen. Die Diktatoren können Vieles, nicht aber eine Niederlage einräumen.

Was wollte der belarussische Machthaber erreichen? 

Es war eine Rache an dem Westen, der die belarussische Opposition nach den gefälschten Walen vom letzten Jahr unterstützt und neue Sanktionen auferlegt hat. Es geht also darum, den Westen zu zwingen, diese Sanktionen ohne Vorbedingung aufzuheben, und bislang war es die Freilassung politischer Gefangenen.

Wenn dieses Handeln von Russland inspiriert wird, können die Ziele weiter reichen: NATO zu testen, Polen als Mitglied des Bündnisses und als eines Staates an der EU-Außengrenze bloßzustellen, den Westen zu Zugeständnissen z.B. in Sachen Ukraine zu zwingen und womöglich russische Streitkräfte in Belarus stationieren zu lassen. Das würde Moskau befähigen, unser Land plötzlich anzugreifen und Kiew einzukesseln. Dieses Szenario ist aber nur wenig wahrscheinlich.

Bis jetzt konnten Belarus und Russland von den vorgenannten Zielen kein einziges erreichen. Nicht unbedeutend ist auch die Tatsache, dass es zu einer Beschleunigung der Integration zwischen Moskau und Minsk gekommen ist. Am 4 November wurde ein Dekret über Integration unterzeichnet, dessen Umsetzung nach Einschätzung vieler Analytiker in der Praxis die Einverleibung von Belarus durch Russland bedeuten würde. Im Vertrag wurden gemeinsame Steuern, Währung und Verteidigungsstrategie vereinbart. Einige Tage nach dessen Abschluss wurde der Höhepunkt des Konflikts an der Grenze überschritten.

Gehen wir nun zur Rolle von Paris und Berlin in diesem Konflikt über. Angela Merkel hat zweimal mit Lukaschenko und Putin gesprochen, den letzteren hat auch der französische Präsident angerufen. Bei den polnischen Behörden und einem Teil der Öffentlichkeit haben diese Schritte zu Irritationen geführt, es wurden auch Vorwürfe formuliert, man verhandle über Polen hinweg. 

Herr Präsident Andrzej Duda hat auch gesagt, dass wir hier keine Vereinbarungen akzeptieren werden, die ohne unsere Beteiligung getroffen wurden. Und wenn diese Vereinbarungen in unserem Sinn sind? Werden wir die Migranten selbst ins Land holen, damit die Krise länger dauert? [Lachen].

Ich weiß nicht, wie man diese Krise lösen wollte, wenn polnische Behörden öffentlich bekundet haben, keinen Kontakt zu Moskau oder Minsk aufnehmen zu wollen. Es tut mir leid, aber Diplomatie ohne Gespräch gibt es nicht.

Amerikaner, Deutsche und Franzosen werden immer Rücksicht auf Russland nehmen. Es ist ein aggressiver Staat, es ist revanchistisch, korrupt und kaputt, aber trotzdem bleibt es eine Weltmacht, die bei vielen Konflikten in ganzer Welt eine Rolle spielt. Polen nicht.

Andrzej Duda stellte im Gespräch mit der Zeitschrift „Tygodnik Sieci” fest, „Diese Gespräche wurden uns gegenüber angedeutet. Wir zuckten schweigend mit den Armen. Wenn jemand reden möchte, dann soll er halt reden”. 

Es stimmt, dass wir informiert wurden. Schade, dass Herr Präsident nicht erläutert hat, wie es dazu gekommen ist, dass der litauische Präsident konsultiert und nicht lediglich in Kenntnis gesetzt wurde.

Unsere Grenze ist die Ostgrenze der EU und der NATO. Es liegt in unserem Interesse, dass es dort nicht zu einer Schießerei kommt, dass da quasi kein Attentat auf den Erzherzog Franz Ferdinand verübt wird, also kein Zwischenfall passiert, der einen Vorwand für weitere kriegerische Auseinandersetzungen liefern würde. Wenn wir die völlig sinnlose antideutsche Kanonade nicht begonnen hätten, hätte vielleicht unsere Position anders ausgesehen.

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Herausgegeben unter der Projektlinie “RAZAM-RAZEM-ZUZAM” aus Mitteln der Stiftung für Deutsch-Polnische Zusammenarbeit des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland.