Latest / Wie baut man in Belarus eine Rechtsstaatlichkeit auf?

Kunst der Reaktion. Wie soll man im Exil handeln

Katarzyna Skrzydłowska-Kalukin · 9 December 2021

Belarussische Aktivisten, die in Polen wohnen, gewinnen Erfahrungen im demokratischen System. Sie hoffen, dass sie es irgendwann später in ihrem Land machen können. Obwohl sich die polnische Demokratie in einem immer schlechteren Zustand befinde, ist sie ein Muster, an dem gelernt werden kann.

Diana Ignatkova vom Studentischen Kunstverein SOI ist nach Warschau Anfang dieses Jahres gezogen. Der von den Studenten von drei Kunsthochschulen gegründeten Bewegung ist sie noch im März in Belarus, nach gefälschten Präsidentschaftswahlen beigetreten. Die Studenten von SOI sprachen laut darüber, dass sie Kunst frei von Zensur und Unterdrückung schaffen wollen, deswegen wurden viele von ihnen exmatrikuliert. Fast die Hälfte ist ausgereist.

Diana Ignatkova erzählt: „In Belarus hatten wir keinen Ort, an dem wir uns verwirklichen konnten, keine Tools, wir wussten nicht, wie die Fördermittel zu beantragen sind. Erst im Ausland haben wir gesehen, welche Möglichkeiten es in einem demokratischen Staat gibt. Uns wurde schwindelig und wir begannen, Projekte zu realisieren, obwohl es nicht einfach war, nachdem wir die Sprache nicht gut sprechen. Es ist toll, dass wir es machen können, schade nur, dass wir es nicht in Belarus machen konnten.

Diana erzählt über den künstlerischen Aktivismus der Belarussen im Atelier „Großes Wohnzimmer“ in Warschau, wie es bei der Ausstellung „Mit der Kunst gegen das Regime” eines der bekanntesten belarussischen Graphikern Vladimir Tsesler der Fall ist. Gegen das Regime gerichtete Werke bilden eine Kulisse für Begegnungen mit belarussischen Künstlern und Aktivisten. Eine von denen, an der Diana teilgenommen hatte, trägt den Titel: „Kunst der Reaktion” und behandelt die Möglichkeiten des Kampfes in der Zeit, in der alle Mittel der Druckausübung vor Ort ausgeschöpft wurden.

Aktivismus im Exil ist ein Weg, im internationalen Raum zu kämpfen sowie sich auf die Maßnahmen in der Heimat vorzubereiten, wenn es so weit und möglich wird. – Nun können wir das lernen, was wir in Belarus nicht lernen konnten – meint Diana. – Wir können Wissen erwerben, um es dann nach Belarus mitzunehmen und dort die Kultur aus den Ruinen zu heben.

Stasja Glinnik von dem in Warschau aktiven Verein Belarussischer Jugendhub erzählt, wie die Aktivisten im letzten Jahr den Emigranten helfen, in Polen Fuß zu fassen. Sie beraten, helfen materiell, veranstalten Belarussischunterricht für Erwachsene und Kinder.

Es ist mehr als reine Überlebenshilfe. – Diese Menschen haben ihren Kampf nicht aufgegeben, als sie nach Polen gezogen sind – meint Stasja. Sie setzen sich dafür ein, dass Polen und andere Staaten aufhören, Geschäftsbeziehungen mit Lukaschenko zu unterhalten, also keinen Handel mit belarussischen Unternehmen betreiben, dass die Interpol aufhört, Belarussen steckbrieflich zu suchen. Polen unterstützt das Regime nicht, aber, wie Stasja Glinnik feststellt, sehen die Immigranten in den Läden Erzeugnisse aus Belarus. – An den Straßenbahnen in Warschau ist Werbung für die Türen aus Belarus zu sehen, es fahren Busse mit Werbebannern der belarussischen Firmen. Sie verbreiten Angst unter den Belarussen, denn aus solchen Bussen sprangen OMON-Beamte heraus, um die Menschen zu inhaftieren – meint sie.

Gleichzeitig lernen die Belarussen, in einem demokratischen System zu agieren, das sie nicht kannten, bevor sie nach Polen gekommen sind. Stasja Glinnik erzählt: – Für sie ist es neu, dass man eine E-Mail an einen Politiker schicken kann, dass man einen Antrag an die Stadtverwaltung stellen und eine Förderung bekommen kann. Deswegen errichten wir Schulen für zivilgesellschaftlichen Aktivismus, um den Menschen aktives Handeln in einer demokratischen Welt beizubringen.

Sie sollen ihre Programme vorbereiten und die ähnlich agierenden polnischen Aktivisten kennenlernen. Möchten sie sich dafür einsetzen wollen, dass die Möbelhersteller aufhören, Holz aus gerodeten belarussischen Wäldern zu kaufen, werden sie Kontakt zu polnischen Umweltschützern aufnehmen. Werden sie sich wegen Interpol engagieren wollen, dann werden sie die polnischen Menschenrechtler kennenlernen.

– Bei den Protesten gegen die gefälschten Wahlen gingen wir auf die Straßen mit einem Unrechtsgefühl, um das zu verteidigen, was uns wichtig war – sagt Stasja Glinnik. – Aber wir haben nicht daran gedacht, wie unser Land aussehen wird, wenn diese Regierung weg ist. Historische Beispiele zeigen wiederum, dass die Menschen, die in ihrem Land ein Regime stürzen, wissen sollen, in welcher Richtung sie gehen möchten. So soll bei unserer Aktion „Herbst nach den Protesten“ das Geschehene verarbeitet werden und es soll gelernt werden, wie Demokratie funktioniert, wie eigene Vertreter zu wählen sind und was sie verkörpern sollen.

Sie planen also ihre Zukunft da vor Ort, obwohl es schwerfällt, wenn die Wirklichkeit immer mehr Brutalität bringt. Wie Olga Haradschejtschyk-Masjarska aus dem Institut für Belarussische Kultur bemerkt, die seit über 20 Jahren im Exil lebt, beeinflussten die Maßnahmen Lukaschenkos an der Grenze zwischen Belarus und Polen die Lage der Immigranten. – Noch vor einem Jahr, vor sechs Monaten, spürten die Menschen, die von Belarus nach Polen kamen, dass sie wie zu Hause sind, dass sie in Polen verstanden und unterstützt werden und dass hier für ihre Sicherheit gesorgt wird – sagt sie. – Aber das, was an der Grenze passiert, beeinflusst nicht nur die internationalen Beziehungen, sondern beeinträchtigt auch die Einstellung durchschnittlicher Menschen. Ihre Einstellung zu den Belarussen verschlechtert sich. Im letzten Jahr beschäftige ich mich vor allem mit der Hilfe für Ankömmlinge und somit erlebe ich etliche Schicksale mit. Ich höre von Kindern, die an den polnischen Schulen eine schlechtere Einstellung ihnen gegenüber erleben. Vor einem Jahr verstanden die Polen die Immigranten als Personen, die für die Freiheit gekämpft haben, man fühlte mit ihnen, solidarisierte sich und unterstützte sie.

In Folge der Krise an der Grenze und der Propaganda der regierungsnahen Medien und der Politiker selbst wird der Begriff „Immigrant“ für viele pejorativ und dies wird auf die Belarussen übertragen. – Polen hat für uns sehr viel geleistet, mehr als irgendein anderer Staat – meint Olga Haradschejtschyk-Masjarska. – Und ich glaube, dass Polen auch eine Chance bekommen hat, denn hier fand sich die überwiegende Mehrheit der belarussischen Intellektuellen und Künstler ein.

Diana Ignatkova fügt hinzu, dass die belarussischen Künstler idealerweise mit der Optik des Unrechts und des Heldentums in ihrer Heimat, sondern ihrer Kunst wahrgenommen werden sollten. Also wie Künstler und nicht wie Migranten.

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Herausgegeben unter der Projektlinie “RAZAM-RAZEM-ZUZAM” aus Mitteln der Stiftung für Deutsch-Polnische Zusammenarbeit des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland.